Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die letzten Städte der Erde

Die letzten Städte der Erde

Titel: Die letzten Städte der Erde
Autoren: C.J. Cherryh
Vom Netzwerk:
stammte aus Jade. Er blickte in die sich wandelnden Augen, und sie berührte mit den Fingern zuerst seinen Mund und dann den ihren; ihr Mund blutete und hinterließ das Blut auf seinen Lippen. »Mein«, sagte sie. »So wie du bist.«
    Das war er. Er fühlte sich kalt, hatte Hunger nach dem Leben, ersehnte es sich mehr als je in seiner Jugend.
    »Auch ich«, sagte der Tod, »wurde einmal geboren... und werde nie sterben. Ebensowenig wie du.
    Noch wirst du je wieder einen Namen haben oder dich darum kümmern.«
    »Ermine«, flüsterte er, um den Anblick ihres Gesichtes zurückzugewinnen. Sie sah auf.
    Und kreischte und verbarg das Gesicht wieder in den Händen.
    »Wenn es zu viele Leben werden«, sagte der Tod, »und du müde wirst, Ermine... wir warten.«
    »Wann immer du wünschst«, sagte Alain zu Ermine, legte seine Hand in die warme Hand des Todes und betrat gemeinsam mit ihr die verborgenen Wege.
    Pertito schüttelte traurig den Kopf, goß noch mehr Wein ein und streichelte die Wange Legrans, der in diesem Zyklus seine Geliebte war und obendrein Claudettes Schwester. Unterhalb von ihnen, hinter dem Balkon, schwankte eine blasse Gestalt auf den Stufen der zehnten Ebene, wo die Sin ihren schwindelerregenden Fall begann. »Ich wette, sie steht wieder auf dem Rand«, sagte er. »Arme Ermine. Tausende von Jahren, und keine Phantasie ist ihr geblieben. Nie mehr als zweiundzwanzig Jahre. Sobald sie dieses Alter erreicht... weg ist sie.«
    »Diesmal nicht«, meinte Legran.
»Ah. Schau! Sie steht auf dem Rand.«
    Legran machte einen langen Hals, um es zu sehen, blieb aber ruhig. »Eine Wette?«
    »Hat sie deinem Bruder diesmal vielleicht etwas ins Ohr geflüstert? Vertraulichkeiten zwischen Verliebten?«
    Legran seufzte und lächelte genüßlich, ließ sich faul wieder zurücksinken. Sie nippte an ihrer Tasse, und ihre rauchfarbenen Augen tanzten über deren Rand. Eine Menge versammelte sich bereits, um den bevorstehenden Sprung zu beobachten.
    »Weißt du etwas?« wollte Pertito wissen.
»Ah, wie tragisch für meinen Bruder, sich in Ermine zu verlieben. Drei Lebenszeiten hintereinander konnte er sie jetzt nicht halten... Wollen wir darauf wetten, Liebster?«
    Pertito zögerte. Einhundert Leben ohne Abwechslung. Es war eine kleine Menge, die dem Selbstmord gleichgültig entgegensah und von Ermine nichts Neues erwartete.
    »Diesmal«, sagte Legran, und ihre Augen tanzten noch munterer, »gibt es einen Rivalen.«
    »Einen zweiten Geliebten?«
    Die weiße Gestalt balancierte gefühlvoll auf der obersten Stufe des Schachtes. Seufzer waren zu hören, höflicher Applaus breitete sich aus.
    »Ein sehr alter«, sagte Legran. »Seit einigen Monaten schon. Ah. Da geht sie hin.«
    Die Menge schnappte nach Luft und schwieg benommen.
    An den Fällen vorbei diesmal, immer weiter die Treppe hinunter, ein Schimmer von Weiß und von Perlen.

Der Spukturm
    (LONDON)
     
    Geister hausten im alten London, dem Teil Londons, der außerhalb der Wälle am Ufer des Flusses lag, oder zumindest glaubten die Stadtleute außerhalb der Wälle an sie: überwiegend wurden die Gespenster den Randbereichen der Stadt zugeordnet, und die Ungläubigen innerhalb der Wälle beharrten darauf, daß sie Ausgeburten vom Sonnenstich geplagter Gehirne waren, von Sinnen, getäuscht durch die Strahlungen der sterbenden Sonne und die Nebel, die sich üblicherweise nahe der Themse zusammenballten. Gespenster waren gewiß aus der Mode für eine Stadtverwaltung, die sich auf ihre Technik etwas einbildete, die den größten Teil von sich selbst auf einen wohlgeordneten Würfel beschränkte (geometrisch perfekt, abgesehen von dem zentralen Bogengang, der der Themse den Durchfluß gestattete), in dem die meisten Einwohner ein präzise geordnetes Leben führten. London besaß seinen eigenen Raumflughafen, unterhielt Büros bedeutender außerplanetarer Gesellschaften und gedieh durch den Handel. Es bezeichnete andere Städte in seiner Nähe als heruntergekommen und degeneriert und nahm für sich selbst in Anspruch, ausgezeichnet und aufgeklärt regiert zu werden. Seit der Restauration und der Einführung des Neuen Bürgermeisteramtes herrschte die Vernunft in London und wurden Traditionen nur insoweit gepflegt, als sie zur Behaglichkeit der Stadt beitrugen und derjenigen, die sie regierten. Wenn die Regierten in der Stadt an Gespenster glaubten und an andere nicht greifbare Dinge, dann war das nur recht: das Vertrauen auf die Astrologie und auf das Glück und auf
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher