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Die letzten Städte der Erde

Die letzten Städte der Erde

Titel: Die letzten Städte der Erde
Autoren: C.J. Cherryh
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Außenwelt. Niemand kümmerte sich darum. Die Stadt war hermetisch abgeschlossen, und das schon seit Jahrtausenden.
    Es
gab
Fenster, aber sie lagen auf den höchsten Ebenen und waren fest verschlossen. Die Einwohner fürchteten die Sonne, denn Gerüchte besagten, daß sie eine Quelle übler Strahlungen sei, ungesund, Ursprung von Seuchen. Es gab Fenster, aber keine Türen, denn niemand wollte hinausgehen. Niemand war mehr fortgegangen seit Errichtung der äußeren Wälle. Wenn die Stadt in diesem Zeitalter noch bauen mußte, dann tat sie es nach unten, grub eine zwanzigste und einundzwanzigste Ebene als Begräbnisstätte für die Toten frei... denn die Toten der Stadt waren Durchreisende in Steinsärgen, die immer damit rechnen mußten, nach weiter unten verlegt zu werden, wenn die Lebenden mehr Raum benötigten.
    Früher einmal war es ein Hauptzeitvertreib in der Stadt gewesen, die unteren Ebenen zu bereisen, die bemalten Sarkophage von Vorfahren herauszusuchen, die Ähnlichkeit des lebenden Gesichts mit dem toten zu suchen, die so normal war in dieser seit langem von der Außenwelt abgeschnittenen Stadt. Aber jetzt waren diese Ebenen voller Staub, und nur wenige Leute zeigten noch Interesse, dorthin zu gehen, es sei denn, Begräbnisse fanden statt.
    Früher einmal war es ein Vergnügen für die Einwohner der Stadt gewesen, die gewaltigen Bibliotheken und Kunsthallen nach Geschichten zu durchforschen, denn die Stadt lebte weitgehend in der Vergangenheit und feierte alten Ruhm – aber heute wurden die Bibliotheken nicht mehr benutzt, es sei denn für leichteste Unterhaltungskost, und diese war sehr abstrakt und voller drogenerträumter Phantasien.
    Mehr und mehr hatten die Einwohner –
Erinnerungen
.
    Zu Anfang waren es wenige, die Sorgen hatten mit Erinnerungen und einer gründlichen Vertrautheit mit den Hallen – wie zu der Zeit, als es nicht ungewöhnlich gewesen war, seine Zeit damit zuzubringen, die Stadt in ihrer gewaltigen Ausdehnung zu bereisen und neue Anblicke in sich aufzunehmen. Diese Visionäre versanken in Langeweile – oder in Angst, als die Erinnerungen sehr lebhaft wurden.
    Es war nicht nötig, auf der Suche nach Vorfahren zu den unteren Ebenen zu gehen, denn die Vorfahren lebten – fleischgeworden in den steinernen Hallen der Stadt, in den Personen ihrer Nachkommen, in Seelen, schon so lange eingekerkert innerhalb der Megalopolis, daß sie anfingen, in früheren Zeitaltern zu erwachen, denn waren sie gestorben, wurden sie wiedergeboren, und behielten schließlich dabei ihr Gedächtnis. So scharf waren ihre Erinnerungen, daß jetzt selbst Säuglinge nicht mehr schrien, sondern geduldig träumend in ihren Wiegen lagen, oder erwachend aus gehetzten Augen blickten, aus Jahrtausenden angesammelter Menschenleben heraus in die Augen ihrer Mütter blickten,
bewußt
und auf das Erwachsenwerden wartend, darauf, daß der Körper die Erinnerung einholte.
    Kinder spielten – mannigfache Spiele, entwickelt aus früheren Leben.
    Die Leute lebten in einer seltsamen Mischung aus Vorsicht und Sorglosigkeit: Vorsicht, denn sie umgaben sich selbst mit der Gegenwart, kannten die Gefahr von Verwicklungen; Sorglosigkeit, denn die Vergangenheit hörte auf, sie als ein Unbekanntes zu faszinieren, und nichts hatte eine dauerhafte Bedeutung. Nur das Vergnügen blieb und die Zukunft, die die Gewißheit weiterer Leben enthielt und die Erinnerung an die, die sie jetzt lebten. Und für eine lange Zeit weilte der Tod nicht in den Hallen der Stadt der Lichter.
    Bis einer unter ihnen geboren wurde.
    Nur selten wurden Menschen neu geboren, neue Seelen ohne vorherige Reisen durch die Stadt, Babies, die schrien, Kinder, die im Bewußtsein ihres Gebrechens aufwuchsen, echte Kinder unter zahllosen Wiedergeborenen.
    Ein solches Kind war Alain.
    Er wurde in einer der größten Familien geboren – diesen Familien auf der Grundlage von Verbindungen, die mehr durch vorherige Leben bestimmt wurden als durch das Blut, denn obwohl es stimmte, daß die Reinkarnation dazu neigte, den Abstammungslinien zu folgen, so war es doch nicht in jedem Fall so; und manchmal kamen Kinder von draußen, außerhalb der Blutlinie, wurden hereingeschwemmt, manche suchten schon mit den ersten unsicheren Schritten eine alte Liebe, alte Bekanntschaften. Aber Alain war neu. Er wurde in der Familie des Jadepalastes geboren, der die zehnte Ebene nahe der Treppe ausfüllte, obwohl er nicht von dieser Familie war oder tatsächlich überhaupt von irgendeiner
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