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Die letzte Rune 05 - Der Tod der Götter

Titel: Die letzte Rune 05 - Der Tod der Götter
Autoren: Anthony Mark
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Zeit hallten Schreie durch die Stadt, aber man konnte unmöglich sagen, ob es sich um Schmerzens- oder Lustschreie handelte.
    Kurz bevor sie den Vierten Kreis verlassen hatten, war ein gut gekleideter Mann Aryn vor die Füße gelaufen. Er hatte sich auf der Straße übergeben, gelacht und war dann weitergetaumelt. Durge wollte hinter ihm her, um ihm Anstand einzubläuen, aber Aryn zog an seinem Arm. Melia war nicht stehen geblieben.
    Der Dritte Kreis war still, denn hier hielt das tarrasische Militär Wache. Der Tempeldistrikt, durch den sie dann eilten, war wiederum nicht still, aber hier ging es wiederum auch nicht so ausgelassen zu wie in den tieferen Kreisen der Stadt. Doch es war klar, dass viele Götter die Schatten der Nacht dem hellen Licht des Tages vorzogen. Weihrauch erfüllte die Luft, zusammen mit dem Gemurmel leiser Gebete.
    Sie kamen an einem Tempel vorbei, dessen Türen weit offen standen. Licht ergoss sich wie geschmolzenes Gold über die Stufen. Über der Tür zeigte ein Fries einen lüstern grinsenden Gott mit Ziegenbeinen. In der einen Hand hielt er eine nackte Jungfrau, in der anderen einen stattlichen jungen Mann.
    Aryns Blick glitt an der Tür vorbei ins Innere. Der Tempel wurde vom Rauch der Kohlenpfannen erfüllt, sodass sie sich nicht sicher sein konnte, was genau sie dort sah. Aber der Boden schien sich zu winden, als wäre er voller Schlangen. Dann wirbelte eine nächtliche Brise den Rauch durcheinander, und sie sah, dass es sich nicht um Schlangen handelte, sondern um Arme und Beine, die sich zu einem lebendigen, in wellenförmigen Bewegungen zuckenden Knoten verschlungen hatten. Stöhnen hallte durch die Luft wie stockende Gebete. Es waren Laute des Vergnügens. Oder der Qual.
    Diesmal war es Durge, der an ihrem Arm zog. »Nein, Mylady. Seht nicht in diesen Tempel.«
    Mit einer großen Willensanstrengung schaffte sie es, den Blick loszureißen und sich von dem Ritter mitziehen zu lassen.
    Landus führte sie eilig durch schattenerfüllte Straßen. Das Gesicht des jungen Akoluthen war ernst, und vielleicht war es nur ein Trick des Mondlichts, aber selbst seine große Hakennase schien jetzt weniger witzig zu sein, als Aryn in Erinnerung hatte. Anscheinend hatte sie wieder jemanden unterschätzt.
    Als sie den Tempel von Mandu erreichten, hatte die Trauerzeremonie bereits begonnen. Der nüchterne Innenraum wurde von einer fahlen Helligkeit erfüllt, die keine Quelle zu haben schien und die den weißen Stein beinahe durchscheinend aussehen ließ. Vor dem Altar standen ein Dutzend Priester und Priesterinnen unter der heiter lächelnden Statue des Sterbenden Gottes. Etwas lag auf einer Steinbahre.
    Aber das stimmte so nicht. Worum auch immer es sich bei dem Gegenstand handelte, er schwebte über der steinernen Oberfläche. Dann erkannte Aryn, dass es sich um die Umrisse eines Mannes handelte, der von Kopf bis Fuß in ein weißes Leichentuch eingehüllt war. Allein das Gesicht lag frei: Es war hager und faltig, und doch war es im Tod so friedvoll wie das seines Gottes.
    »O Orsith«, flüsterte Melia.
    Die Priester und Priesterinnen machten ihr den Weg frei, als sie zum Altar eilte, als hätten sie sie erwartet. Melia liebkoste das Gesicht des alten Mannes. Sie beugte sich vor, um ihm etwas zuzuflüstern, aber was auch immer sie sagte, wurde von dem Lied übertönt, das erscholl. Aryn konnte die seltsamen Worte nicht verstehen, die die Priesterschaft da sang, aber in ihnen lag Trauer und eine große, endlose Freude, die beinahe unerträglich war.
    Schließlich wandte sich Melia von der über dem Altar schwebenden Gestalt ab und kehrte zu ihnen zurück.
    »Wenn es nicht zu viele Umstände macht«, sagte sie an Landus gewandt, »würde ich gern sehen, wo er seine letzten Augenblicke verbracht hat.«
    Der Akoluth nickte. »Natürlich, Eure Heiligkeit. Das macht keine Umstände. Hier entlang.«
    Er führte sie in einen kleinen Vorraum, der im Gegensatz zu dem, was Aryn bis jetzt von Mandus Tempel gesehen hatte, alles andere als leer war. Regale und Schränke säumten die Wände, fast bis zum Bersten mit eng zusammengerollten Pergamentrollen gefüllt. In der Mitte des Raumes standen ein Tisch und ein Stuhl, und auf dem Tisch befanden sich Körbe mit Federn und Tintenfässchen sowie ein Blatt Pergament. Eines der Tintenfasschen hatte sich über das Blatt ergossen und den größten Teil des Geschriebenen unkenntlich gemacht.
    »Das war … das ist Orsiths Studierzimmer«, sagte Landus und kämpfte um
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