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Die letzte Rune 01 - Das Ruinentor

Titel: Die letzte Rune 01 - Das Ruinentor
Autoren: Anthony Mark
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schmaler Dolch, den Aryn ihr am Nachmittag gegeben hatte – noch sicher in seiner Scheide in ihren Hirschlederstiefeln steckte.
    »Keine echte Lady sollte ohne gehen«, hatte sie gesagt, als sie in Graces Gemach vorbeigekommen war, um ihr die Waffe zu geben. Grace nahm aber an, daß weniger die gängige Mode als vielmehr ihre Auseinandersetzung mit dem Kaufmann auf dem Unteren Burghof der Grund für das Geschenk war. Langsam kam sie zu dem Schluß, daß unter dem sanften Äußeren der Baronesse harter Stahl steckte.
    Grace zog die Klinge aus der Scheide. Der juwelenbesetzte Griff des Dolches war reich verziert, aber er lag gut in der Hand. Der Dolch war eindeutig für eine Frauenhand geschaffen, und obwohl seine Klinge schmal war, war sie doch scharf und tödlich. Sie steckte ihn in die Scheide zurück. Sie bezweifelte, daß sie ihn brauchen würde, nichtsdestotrotz fand sie seinen sanften Druck auf ihrer Haut beruhigend.
    Sie richtete sich auf und bemerkte, daß sie wieder neben dem seltsamen Artefakt aus dunklem Stein – oder war es Metall? – stand. Sie hatte Aryn vor ein paar Tagen danach gefragt, aber die Baronesse hatte nicht viel darüber gewußt, außer daß es sich schon seit Jahrhunderten im Schloß befand und daß allgemein angenommen wurde, daß es sich um ein Relikt aus dem alten Malachor handelte. Grace wollte es gerade berühren, da sie sich fragte, wie sich die eigentümlich glatte Oberfläche wohl anfühlte, als hinter ihr eine Stimme ertönte.
    »Grace, da bist du ja. Ich habe schon überall nach dir gesucht.«
    Grace drehte sich um und lächelte, als sie Aryn erblickte. »Und da du mich jetzt gefunden hast, mußt du mir wohl oder übel Gesellschaft leisten.«
    Aryn widersprach ihr nicht, und so gingen die beiden Frauen zusammen durch den überfüllten Saal. Grace entdeckte König Boreas vor dem gewölbeartigen Kamin; er unterhielt sich gerade mit Königin Ivalaine von Toloria. Kyrene stand unmittelbar hinter der Königin und klebte buchstäblich an ihren Lippen. Ivalaines Antlitz war so schön wie zuvor, während es dem König offenbar nicht gelingen wollte, seine besorgte Miene zu verbergen.
    »Warum scheint es König Boreas so wenig zu behagen, sie zu treffen?« fragte Grace. Sie dachte an ihren Geschichts- und Politikunterricht zurück. »Ich dachte, Calavan und Toloria seien Verbündete?«
    »Historisch gesehen schon.« Aryn ließ sich von einem Diener einen Pokal mit Wein geben, reichte ihn an Grace weiter und nahm dann selbst einen. »Aber König Boreas glaubt an die Mysterien von Vathris, und es hat immer schon große Rivalität zwischen dem Kult des Stiertöters und dem gegeben, dem Ivalaine angehört.«
    Grace runzelte die Stirn. »Und der wäre?«
    Aryn leckte sich über die Lippen, bevor sie die Antwort flüsterte. »Die Hexen.«
    Es durchfuhr Grace wie ein elektrischer Schlag. Die Hexen? Dann hatte Adira recht gehabt. Ivalaine war in der Tat eine Hexe – was immer das auch wirklich bedeuten sollte. Und zweifellos sah Kyrene sich auch als solche. Grace nahm ihren Pokal und leerte ihn in einem einzigen, langen Zug. Bevor sie es sich wieder anders überlegen konnte, erzählte sie Aryn alles: die seltsamen Dinge, die Ivalaine über die Gabe gesagt hatte, und Adiras Hoffnung, eine Hexe zu werden, indem sie mit der Königin sprach.
    Aryns Augen weiteten sich, als Grace sprach, und sie trat einen Schritt zurück. »Grace, ist das wahr? Hast du … hast du sie etwa? Die Gabe?«
    Grace stöhnte. »Woher soll ich das wissen? Ich weiß ja noch nicht einmal, was das sein soll.«
    Aryn tat einen weiteren Schritt zurück. Grace schüttelte den Kopf. Nein, Aryn durfte nicht auf Distanz zu ihr gehen. Nicht jetzt, nicht nach allem, was passiert war.
    »Wage es ja nicht, Angst vor mir zu haben, Aryn«, sagte sie. »Ivalaine hat sich auch für dich interessiert. Vergiß das nicht.«
    Die Baronesse blinzelte. Dann wich ihr Schreck Bedauern. Sie ergriff Graces Hand. »Ich fürchte mich nicht vor dir, Grace. Nur um dich, um uns beide fürchte ich.«
    Grace bewerkstelligte ein mattes Lächeln.
    »Aber König Boreas darf nichts davon erfahren«, sagte Aryn.
    Grace stimmte mit einem festen Händedruck zu. Solange sie Aryn auf ihrer Seite wußte, schien alles nur halb so beängstigend.
    Als sie ihren Weg durch den Saal fortsetzten, erklang von einer der hölzernen Galerien Musik, als eine Gruppe von Spielmännern ihre Arbeit aufnahm: Flöten zwitscherten über einem summenden Dröhnen, begleitet vom
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