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Die letzte Lüge: Thriller (German Edition)

Die letzte Lüge: Thriller (German Edition)

Titel: Die letzte Lüge: Thriller (German Edition)
Autoren: Peter de Jonge
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macht ihr bewusst, dass sie seit einer Woche nicht mehr im Fitnesscenter war.
    Zu Hause schneidet sich O’Hara Scheiben von einem trockenen Baguette, setzt Kaffee auf und macht Musik an. Als sie zehn Minuten später aus der Dusche steigt, sind ihre Haare sauber und alle Elemente eines bescheidenen häuslichen Lebens befinden sich an ihrem Platz: Kaffeeduft wabert aus der Küche, Bruno schläft auf der Seite liegend an einem sonnigen Plätzchen und Ann Wilson von Heart singt »Crazy on You«.
    Als O’Hara mit dem Feuerwehrmann zusammenlebte, bestimmte er, wo es langging. Er bestand auf seiner hundsmiserablen CD-Sammlung und wehrte Vorschläge ihrerseits erfolgreich ab. Obwohl sie bereits dreißig war, als sie hier einzog, ist dies trotzdem die erste Wohnung, in der sie das Gefühl hat, dass sie ganz und gar ihr gehört. Der Kauf und die Platzierung jedes einzelnen Möbelstücks – von dem dick gepolsterten Puffsofa (vom Flohmarkt auf der Columbus Avenue) über den kleinen Küchentisch (Ramschverkauf auf der Riverdale Street) bis hin zu den Bodenlampen aus Messing (IKEA in Elizabeth) – ist ein Ergebnis ungehindert getroffener Entscheidungen und bereitet ihr ungeheures Vergnügen. Dasselbe gilt für die Fotos von ihren Eltern, ihrer Großmutter und von Bruno in dem kleinen Flur. Natürlich auch für ihr Lieblingsbild, das gerahmt über dem Sofa hängt und sie mit dem 15-jährigen Axl auf ihrer ausgiebigen Reise zeigt. Es wurde um sechs Uhr morgens vor einem Motel in Fort Wayne in Indiana aufgenommen, als es gerade hell wurde. Axl sieht darauf so wunderschön, jung und unschuldig aus, dass man es kaum wagt, ihn zu betrachten. Während Axl, Pena und deren verängstigte Eltern alle gleichermaßen um O’Haras Aufmerksamkeit konkurrieren, ruft Krekorian an.
    »Dar«, sagt er. »Du hast dir da mordsmäßig was eingefangen.«
    »Muss ich mich auf Geschlechtskrankheiten testen lassen?«
    »Ruf mich an, wenn du die Zeitungen gelesen hast. Ich glaube, wir müssen heute arbeiten.«
    O’Hara legt auf und breitet die Montagszeitungen vor sich auf dem Tisch aus. Dasselbe Foto von Pena, das sie in ihrer Tasche mit sich herumträgt, starrt ihr aus allen dreien entgegen. O’Hara staunt, dass die Presse so schnell auf den Fall anspringt. Als Puerto Ricanerin aus einer Arbeiterfamilie hat man normalerweise kaum Chancen, in die Zeitung zu kommen. Aber als O’Hara die Artikel liest, wird ihr klar, dass Pena dank ihrer wohlhabenden Freundinnen und ihrem Stipendium an der NYU ebenso gute Aussichten hat wie ein wohlhabendes weißes oder asiatisches Mädchen. Außerdem ist sie schön und hellhäutig und bringt eine unwiderstehliche Vergangenheit mit.
    Die Post und die News interessieren sich für die potentielle Tragödie, da sie als abschreckendes Beispiel dienen kann. Ein junges Mädchen bleibt, in der Hoffnung abgeschleppt zu werden, alleine in einer Bar zurück und muss selbstverständlich dafür bestraft werden. Die Times konzentriert sich auf die Brisanz der ungewöhnlichen Geschichte, die, lange bevor Pena ihr Studium an der NYU aufnahm, begann. Der Artikel auf der ersten Seite des Lokalteils, direkt über dem Knick, berichtet davon, dass Pena in einem berüchtigten Chicagoer Ghetto von Sozialhilfe lebte und ihr drogensüchtiger Vater an Aids starb, als sie elf Jahre alt war. Als junger Teenager hatte sie so viel Ärger am Hals, dass es für zwei Monate Jugendknast reichte. Um der Härte des Stadtlebens zu entfliehen, ließen Mutter und Tochter die Würfel entscheiden und zogen nach Neuengland. In Westfield heiratete die Mutter erneut, diesmal den einheimischen Zimmermann und Kleinstunternehmer Dominic Coppalano. Sie nahm seinen Namen an, während Francesca den Familiennamen Pena von ihrem verstorbenen Vater beibehielt. Der vor Angst erstarrte Mann am Telefon gestern Abend war also Penas Stiefvater.
    In der tristen Industriestadt von einst, Westfield in Massachusetts, legte Pena die Weichen ihres Schicksals um. Sie versuchte es zumindest. Sie wurde Wettkampfläuferin und eine fleißige Schülerin, sie erhielt ein Stipendium für die Förderstufe und zwei Jahre später das volle Paket an der NYU. Der stellvertretende Universitätsdirektor wird mit der Aussage zitiert, Pena habe als Studentin und Athletin derartige Fortschritte gemacht, dass man überlegt habe, sie als Kandidatin für ein Rhodes-Stipendium vorzuschlagen.
    O’Hara hat genug von dieser Art Artikel gelesen, um zu wissen, dass sie auf einen bestimmten Effekt zielen.
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