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Die letzte Flut - Die letzte Flut - Flood

Titel: Die letzte Flut - Die letzte Flut - Flood
Autoren: Stephen Baxter
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sangen: »Lieblich Meer, sei mein Taifun/du bist mein Engie, mein Tiffie/lieblich Meer, sei mein Taifun …« Eines der Kinder war Boris, der Sohn von Manco und Ana. Er war noch keine zwei Jahre alt, schwamm aber so souverän wie alle anderen. Ana stand am Wasser und klatschte in die Hände, um ihn zurückzurufen.
    Gary und sein Partner legten am unregelmäßig geformten Rand des Floßes an und stiegen steifbeinig aus ihrem Boot. Lily half Gary, mehr aus Zuneigung als aus praktischen Gründen, und er schloss sie in die Arme und drückte sie an sich.

    Dann ließ er sich von ihr über das Floß führen. »Wow, was ist das denn, Gummi?« Die von Schleim bedeckte Seetang-Basis des Floßes, Lammocksons letztes Vermächtnis, war auch drei Jahre, nachdem eine Lungeninfektion ihn selbst schließlich dahingerafft hatte, noch immer funktionstüchtig. »Genmanipuliert, wirklich? Oh, ich bin beeindruckt.«
    Sie nahmen in Lilys kleiner Hütte aus Kunststoffplatten und Abdeckplanen Platz, die sie manchmal mit Manco oder Boris, aber nur selten mit Ana teilte; Ana blieb lieber bei ihrer eigenen Familie. Lily bewirtete Gary mit frischem Wasser und getrocknetem Fisch. Den Fisch hatte sie mit dem kostbaren Pfeffer gewürzt, den sie auf einer großen schwimmenden Farm mitten im Pazifik erstanden hatte. »Du solltest diese Farmen mal sehen, Gary. Hängende Gärten und Trinkwasserbrunnen, Windturbinen und Solarzellen, alles da draußen, mitten auf dem Ozean. Sie halten Hühner in an die Wände geschraubten Ställen und bauen in alten Lastwagenreifen Gemüse an. Selbst Nathan wäre beeindruckt gewesen.«
    Gary, der höflich zuhörte, war nun fünfundsechzig Jahre alt. Auf seinem Gesicht waren noch rudimentäre Spuren des jungen Mannes zu erkennen, den sie in der alten Zeit gekannt hatte, dachte Lily. Er hatte sich immer fit gehalten, war erst als Feldforscher, dann für so viele Jahre als Flüchtling immer draußen, immer unterwegs gewesen. In dieser Hinsicht hatte sich sein Leben nicht sehr verändert. Er war vergleichsweise gut gekleidet. Während Lily die immer wieder gewaschenen und geflickten Überreste ihres AxysCorp-Overalls trug, hatte Gary ein Hemd und eine lange, weite Hose an, die kaum ausgeblichen wirkten, wie frisches Bergungsgut
aus irgendeiner untergegangenen amerikanischen Stadt. Aber seine Haare waren merklich dünner und grau meliert, und um seine Augen lag eine Art trauriger Müdigkeit. Und an seiner Schläfe war eine Furche, die Narbe einer Schusswunde; er sprach nicht darüber.
    Gary hatte Jahrzehnte in den Anden-Gemeinschaften gelebt, wo die Walker City den langen Marsch schließlich beendet hatte. Als die Lage jedoch auch dort kritisch wurde, beschloss er, dass er das Ende zu Hause erleben wollte, in den Überresten der kontinentalen Vereinigten Staaten. Nach einer wahren ozeanischen Odyssee war er schließlich in Colorado gelandet.
    Und nun war er hier. Er beugte sich vor und nahm ihre Hände. »Gott, ist das schön, dich zu sehen, Lily, dich reden zu hören! Es ist toll, dass du diese ganze Strecke zurückgelegt hast, dass du die Welt überquert hast.«
    Das hatte sie. Die Flöße waren lenkbar, wenn auch nur mit Mühe, wenn man Ruder benutzte und den Wind in den Segeln fing. Nach Nathan Lammocksons Tod hatte Lily seine Habseligkeiten geerbt, einschließlich seiner kostbaren Funkgeräte. Mit deren Hilfe hatte sie Gary aufgespürt, als er gerade auf dem Rückweg nach Nordamerika gewesen war. Und als er ihr erzählt hatte, was für ein bedeutsames Jahr ihnen bevorstand, hatte sie sich veranlasst gefühlt, hierherzukommen und ihn aufzusuchen. Die anderen ließen sie gewähren; es interessierte sie offenbar nicht besonders, wo auf der Welt sie sich befanden, solange der Fischfang gut war.
    »Euer Leben ist weitaus fremdartiger als alles, was ich bisher durchgemacht habe«, sagte er. »Was tut ihr eigentlich den ganzen Tag?«

    »Wir fischen«, erwiderte Lily. »Wir fangen Wasser auf. Wir kümmern uns um die Flöße. Wir handeln ein bisschen. Meistens schwimmen und vögeln wir.«
    Das brachte ihn zum Lachen.
    »Bei mir eher Ersteres und Letzteres gar nicht«, sagte sie. »Sie kriegen immer früher Kinder, weißt du. Manco und Ana zum Beispiel waren erst fünfzehn, als der kleine Boris gekommen ist. Die Mütter gebären im Wasser. Schon Manco und Ana haben nicht mehr viel Ähnlichkeit mit dir und mir. Und die neue Generation, die Borisse, werden keinen Kontakt mehr mit uns haben. Nichts Gemeinsames, keine kollektiven
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