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Die Leidenschaft des Cervantes

Die Leidenschaft des Cervantes

Titel: Die Leidenschaft des Cervantes
Autoren: Jaime Manrique
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störte ihn das offenbar nicht. Ich wollte mich über seine zögerliche Arbeitsweise nicht beklagen. Solange ich die Spielhäuser frequentieren und ihre verbotenen und exotischen afrikanischen und maurischen Freuden genießen konnte, war ich zufrieden.
    Als die Jahre vergingen und die Popularität des Don Quijote beständig wuchs, flammte Luis’ Besessenheit Cervantes gegenüber wieder auf. 1609 hörte er, dass dieser Mitglied der Bruderschaft der Sklaven des Heiligsten Altarsakraments geworden war und dass seine Frau und seine Schwestern dem Dritten Orden des Heiligen Franziskus als Novizinnen beigetreten waren, und lästerte: »Wenn sie denken, dass sie weniger jüdisch werden, wenn sie sich fromm geben, haben sie sich getäuscht.« Im folgenden Jahr wurde verlautet, Cervantes sei im Hofstaat des Grafen von Lemos, der zum Vizekönig von Neapel ernannt worden war, nach Barcelona gereist. »Wenn der Graf nur wüsste«, tobte Luis, als ich ihm davon berichtete. »Das ist meine Schuld, Pascual. Ich hätte die Welt schon vor langer Zeit warnen müssen, dass Miguel de Cervantes ein Schurke der übelsten Sorte ist.«
    Sein Zorn war besänftigt, als er hörte, dass Cervantes nicht an den Hof in Neapel berufen worden, sondern nach Madrid zurückgekehrt war.
    Endlich beendete Luis seinen Don Quijote Teil II . Da niemand erfahren durfte, dass er der Autor war – nicht einmal der künftige Verleger –, beauftragte er mich, alles für die Veröffentlichung Notwendige zu unternehmen. Ich steckte mitten in den Vorbereitungen dazu, als Cervantes für 1613 das Erscheinen seiner Exemplarischen Novellen ankündigte.
    »Beende Er alle Verhandlungen über die Veröffentlichung meines Don Quijote . Wir warten noch ein Jahr«, trug Luis mir auf. »Ich habe so lange gewartet, nun kann ich auch noch ein weiteres Jahr warten, um der Welt meine Überlegenheit als Autor zu beweisen. Außerdem möchte ich, dass kein anderes spanisches Werk mit meinem Roman in Wettstreit tritt, wenn er erscheint.«
    Zu der Zeit war Cervantes bereits so berühmt, dass die erste Auflage der Exemplarischen Novellen binnen weniger Wochen ausverkauft war. Luis las sie, wie jeder andere auch. Sein Urteil lautete: »Das sind keine Novellen, Pascual, sie lesen sich wie Stücke. Außerdem sind sie satirisch und nicht exemplarisch. Es wäre falsch, nicht zuzugeben, dass sie großartig sind«, räumte er ein. »Die mit den sprechenden Hunden ist recht witzig, obwohl sie langatmig ist, wie alles, was er schreibt. Und seine mangelnden Lateinkenntnisse sind allzu offensichtlich, seine Bildung ist nichts als Gauklerei. Er wird immer ein Simpel bleiben!«
    Allmählich glaubte ich schon, Luis würde sterben, ehe sein Roman veröffentlicht wurde. Als das Buch 1614 schließlich erschien, war er ein alter Mann. Zu meiner Überraschung und obwohl sein Roman dem von Cervantes in allem unterlegen war – ihm fehlte das, was Cervantes im Überfluss besaß: Genie! –, wurde der falsche Don Quijote ein Erfolg. Viele Leser fanden ihn geistreich, und die erste Ausgabe war schnell verkauft.
    »Der Erfolg erstaunt mich nicht«, prahlte Luis. »Die Menschen erkennen, dass ich ein Künstler der höchsten Ordnung bin und kein gewöhnlicher. Nur um Ihm ein Beispiel zu geben: Anstatt zu sagen: ›Ich schiss‹, wie Miguel es an vielen Stellen seines derben Romans tut (als wäre zu scheißen ein lohnenswertes Sujet), schrieb ich: ›Der Bienenstock, mit dem die Natur mein Gesäß ausstattete, destillierte Wachs.‹ Er versteht den großen Unterschied, nicht wahr? Überdies sind die Abenteuer meiner Helden bemerkenswerter als jene, die der Verfasser des ersten Teils zusammensuchte und veröffentlichte.« Er konnte es nicht über sich bringen, Cervantes’ Namen zu nennen. »Zudem sind ›Der verzweifelte Reiche‹ und ›Die glücklichen Liebenden‹, die Erzählungen innerhalb meines Don Quijote , insgesamt origineller und besser geschrieben als die ausufernden, langweiligen Zwischenspiele des Schreibers des ersten Teils. Meint Er nicht auch?«
    »Es ist, wie Ihr sagt, Euer Gnaden«, pflichtete ich ihm bei.
    Luis Laras Augenblick des Ruhms währte nicht lange. Im folgenden Jahr veröffentlichte Cervantes seinen eigenen zweiten Teil, genau zehn Jahre nach dem ersten. Wie jeder andere war auch ich der Meinung (obwohl ich das Luis gegenüber nie erwähnte), dass Cervantes sich selbst übertroffen hatte. Außerdem offenbarte sein Roman die Oberflächlichkeit von Luis’ Teil und versetzte ihm
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