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Die Leidenschaft des Cervantes

Die Leidenschaft des Cervantes

Titel: Die Leidenschaft des Cervantes
Autoren: Jaime Manrique
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Klugheit in einem Körper vereinte. Wenn ich sie das nächste Mal sah – wenn es denn ein nächstes Mal geben sollte –, wäre sie zweifellos eine verheiratete Frau.
    Mein Plan war, mit Maese Pedros Truppe von Schauspielern und Zauberern, die gerade am Ortsrand von Tembleque in der Mancha lagerte, nach Süden zu reiten und in Sevilla unterzutauchen, bis ich mich in ein fremdes Land einschiffen konnte. Von dort, aus sicherer Entfernung, würde ich das Urteil anfechten und abwarten, bis ich begnadigt oder der Vorfall in Vergessenheit geraten war. Maese Pedro kannte ich, seit ich sieben Jahre alt war und in Córdoba lebte. Alljährlich gegen Ende des Frühjahrs war er damals mit seiner Truppe dort eingetroffen und hatte sein Lager außerhalb der Stadtmauern aufgeschlagen.
    Schon als Junge hatte ich davon geträumt, fremde Länder zu sehen, doch hatte ich mir den Aufbruch zu einer solchen Reise nicht als überstürzte Flucht vorgestellt. Aber der Gedanke, meine rechte Hand an das scharfe Schwert des Gesetzes zu verlieren – eben die Hand, mit der ich meine Gedichte schrieb, die Hand, mit der ich Mercedes’ Gesicht liebkoste –, war nicht zu ertragen. Mit nur einer Hand wäre ich zum Betteln verdammt und sah mich als Heimatlosen auf fremdem Boden sterben, wie die alten, ausgemergelten Sklaven, die freigelassen worden waren, weil sie keine schwere Arbeit mehr verrichten konnten, und jetzt in Spanien über die Straßen zogen. Bei dieser Vorstellung wollte ich nur noch panisch die Stadt verlassen. Lieber schneide ich mir die Kehle durch, als dass ich ein unnützes Leben führe, sagte ich mir bei meiner Flucht aus Madrid.
    Im Grunde hatte ich mein ganzes bisheriges Leben auf Wanderschaft verbracht. Der wenig ausgeprägte Geschäftssinn meines Vaters hatte unsere Familie gezwungen, mit unserer bescheidenen Habe ständig weiterzuziehen, ewig auf der Flucht vor den Gläubigern meines Vaters und der stets drohenden Gefahr, dass er in den Kerker geworfen würde. Schon früh hatte ich gelernt, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis ich mich wieder von meinen Lieblingslehrern und meinen neuen Freunden verabschieden musste, von den Straßen und Plätzen, an die ich mich gewöhnt hatte, von den Häusern, die ich allzu kurze Jahre Zuhause genannt hatte. Der von einem Maultier gezogene Karren, auf dem wir Cervantes von prächtigen Städten in schäbige Marktflecken zogen, war mein beständigstes Zuhause. Wir hatten in so vielen Orten gewohnt, dass ich mich kaum all der Namen entsann: Alcalá de Henares, wo ich geboren wurde, Valladolid, das wir verließen, als ich sechs war, dann zehn Jahre in Córdoba, gefolgt von ein paar wunderbaren Jahren in Sevilla, bis meine Familie die Stadt in Schmach und Schande verließ und nach Kastilien zurückkehrte, nach Madrid.
    In meiner ersten Nacht als Flüchtiger erinnerte ich mich an die Momente, wenn meine Mutter, überwältigt von ihrer Verzweiflung über die Rastlosigkeit meines Vaters, murrte: »Wir sind nicht besser als die Zigeuner, die hier in Spanien über die Straßen ziehen. Meine Kinder lernen kaum mehr als die Diebe und Metzen. Euer Vater wird erst aufhören, dem Regenbogen zu folgen, wenn seine Gebeine in der Erde zu Staub zerfallen sind.«
    Mich tröstete die Vorstellung, dass es unter den spanischen Dichtern viele Vogelfreie gab. Ich war einer von ihnen geworden: ein Exilant, wie mein geliebter Garcilaso de la Vega. Andererseits könnte mein Schicksal dem Gutierre de Cetinas gleichen, der in Mexiko eines gewaltsamen Todes gestorben war. Vielleicht würde ich auch dem Beispiel Fray Luis de Leóns folgen, der viele Jahre in Valladolid im Gefängnis schmachtete. Oder würde ich in die Fußstapfen Francisco de Aldanas treten, der im Dienst des portugiesischen Königs Don Sebastian in Afrika ums Leben gekommen war? Vielleicht würde es mir in einem anderen Land, in dem es weniger ungerecht zuging und ein armer, aber begabter junger Mann wirklich die Möglichkeit hatte, sich zu beweisen, besser ergehen. Außerhalb der starren spanischen Gesellschaft, fern der hohlen, schwülstigen, scheinheiligen Konventionen könnte womöglich etwas aus mir werden. Ich war davon überzeugt, dass Großes in mir steckte. Und diesen Glauben konnte mir niemand nehmen, nicht einmal der allmächtige spanische König.
    Wenn ich Herr meines eigenen Schicksals sein und mich auf meine Art als mannhaft erweisen wollte, hatte ich zwei Möglichkeiten: Ruhm als Dichter oder Ehre als Soldat. Der berühmteste
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