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Die Leidenschaft des Cervantes

Die Leidenschaft des Cervantes

Titel: Die Leidenschaft des Cervantes
Autoren: Jaime Manrique
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Stadt. Sie war für mich geschaffen, und ich wollte ihr Geschichtsschreiber sein. Sevilla gehörte mir, und ich gehörte Sevilla.
    Die meisten Sevillanos verbrachten die heißesten Stunden des Tages im Haus und wagten sich erst hinaus, wenn der Abendwind, der vom Mittelmeer den Guadalquivir hinaufwehte, der Stadt ein wenig Kühlung brachte. Dann war es, als würde ein Vorhang gehoben, und das Proszenium – Sevilla – wurde zur verzauberten Bühne, auf der das Theater des Lebens spielte. Als ich jetzt draußen vor der Stadt auf meiner Decke lag, glaubte ich, in den Winkeln meines Gehirns das Klappern der Kastagnetten zu hören, das in jeder Straße und auf jedem Platz erscholl. Der Klang diente zur Erinnerung, dass man mit der arroganten Eleganz eines Pfaus stolzieren sollte, der seine Farbenpracht zur Schau stellt. Eilig verließen die Menschen ihre Häuser, um auf den Plazas zu singen und die wollüstigen zarabandas zu tanzen, die die Kirche mit einem Verbot belegt hatte. Auf den von Fackeln erleuchteten Plätzen wiegten schöne, sinnliche Tänzerinnen schamlos ihr Gesäß und klapperten wild mit ihren Kastagnetten, verwandelten ihr Instrument in eine Waffe, die einen Mann betören und ihn dann das Leben kosten konnte.
    Mit den Augen verlockten die Tänzerinnen einen dazu, von den unzähligen Freuden des Körpers zu träumen. Die Bewegungen ihrer Hände waren voller Andeutungen und forderten die Zuschauer mit verführerischen Gesten auf, die erhitzten Wangen der Tänzerinnen zu liebkosen. Atemberaubend war es, wenn die männlichen Tänzer in die Höhe sprangen und sich dabei im Kreis drehten, als wollten sie Dämonen austreiben, die sie von innen her zerfraßen. Dort oben, in der Luft sahen die Männer aus wie Zwitterwesen, halb Mensch, halb Vogel. Von Mitternacht bis zum Morgengrauen wurden die schönsten Señoritas von ihren leidenschaftlichen Freiern umworben. Im Lauf dieser serenatas kam es oft zu Schlägereien, und die Leichen der unglückseligen Liebhaber wurden morgens unter dem Balkon ihrer Angebeteten entdeckt, erstarrt in Lachen geronnenen Blutes.
    Sevilla war die Stadt der Hexen und Zauberer. Man musste achtgeben, es sich mit keiner Frau zu verscherzen, denn jede von ihnen – ob adelig oder bäurisch, verheiratet oder ledig, alt oder jung, schön oder hässlich, christlich oder maurisch, versklavt oder frei –, jede konnte teuflische Fähigkeiten besitzen. Hexen ließen bei sich zu Hause im Dezember rote Rosen erblühen. Sie konnten das Glück oder das Scheitern einer Ehe herbeiführen, sie konnten einen Bräutigam dazu veranlassen, sich am Vorabend der Hochzeit zu erhängen oder in Luft aufzulösen, konnten bewirken, dass eine Schwangere einen Wurf Welpen in die Welt setzte.
    Mit etwas Pech wurden Männer, wenn sie eine Zauberin verärgerten, in einen Esel verwandelt. Während Gatten und Liebhaber verschwanden, tauchten neue Esel auf, und ihre Besitzerinnen bürdeten ihnen mit Lust schwerste Lasten auf. Alltäglich konnte man in Sevilla Frauen beobachten, die jeden Esel, der ihres Wegs kam, mit dem Namen ihres verschwundenen Gemahls ansprachen. Wenn der Esel zur Antwort schrie, sank die Frau auf die Knie und dankte Gott, dass sie ihren Ehewirt gefunden hatte. Wollte sie ihn wiederhaben, musste sie den Esel seinem Besitzer abkaufen. Dann ging sie mit dem Tier nach Hause, beglückt, ihren Mann wiederzuhaben, und versuchte für den Rest ihres Lebens, den Zauber umzukehren. Manche Frauen hatten allerdings gar nichts dagegen, ihren Gemahl in Eselsgestalt zu behalten. Wie es hieß, waren einige der glücklichsten Ehen Sevillas die zwischen einer Frau und ihrem Esel.
    Die Inquisition ließ auf den öffentlichen Plätzen viele Frauen auspeitschen, weil sie sich mit den exquisiten Freuden gebrüstet hatten, die ihr Eselsgeliebter ihnen bereitete. Sinnliche Schreie und Crescendi der Wollust drangen zu abgelegenen Bergdörfern vor, wo Herden von Wildeseln vor Neid zu brüllen begannen. Immer mehr Zigeuner brachten regelmäßig Esel in die Stadt, die schrien, sobald eine Frau sie ansprach. Wurde ein Esel steif und versuchte, eine junge Frau zu besteigen, die ihn mit dem Namen ihres Mannes angesprochen hatte, oder keilte ein Esel gegen eine alte, ausgemergelte Keifzange aus, die ihn als ihren Mann identifizierte, oder lief davon, wenn eine Hässliche die Arme um seinen Hals schlingen wollte, galt auch das als Beweis, dass die Betreffende ihren Gatten gefunden hatte. Plusterte sich ein Sevillano ob seiner eigenen
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