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Die Leidenschaft des Cervantes

Die Leidenschaft des Cervantes

Titel: Die Leidenschaft des Cervantes
Autoren: Jaime Manrique
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der Rückkehr der Schauspieler. Und jedes Mal, wenn sich die Truppe im Juni für die Weiterreise bereit machte, sagte Maese Pedro: »Nächstes Jahr, Miguel. Wenn deine Eltern es dir erlauben, darfst du nächstes Jahr mitkommen.«
    Als ich zwölf wurde, hatte Candela einen Schauspieler aus der Truppe geheiratet und selbst Kinder bekommen. Zwar war sie freundlich zu mir, tat aber, als habe es die frühere Vertrautheit zwischen uns nie gegeben.
    Als unser Reisetross später am Tag die Mancha hinter sich gelassen hatte, passierte ebendas, was ich die ganze Zeit befürchtet hatte: Der Büttel und seine Männer holten uns ein und ließen uns anhalten, um uns zu durchsuchen. Als sich die Soldaten dem Wagen näherten, in dem ich saß, begann ich zu zittern und bekam vor Angst fast keine Luft mehr, als hätte ich einen Schweineknochen verschluckt. Uns wurde befohlen, aus der Kutsche zu steigen. Vielleicht sollte ich die Perücke abnehmen und mich der Justiz stellen, bevor sie meine Verkleidung durchschauen, dachte ich mir. Gerade wollte ich mich der Gnade des Büttels ausliefern, als Maese Pedro mich am Ellbogen packte, mir eine schallende Ohrfeige versetzte, sodass ich zu bluten anfing, und schrie: »Wo willst du hin, du schamloses Flittchen? Hör auf, den Soldaten schöne Augen zu machen! Warum hat Gott mich mit einer Hure als Tochter gestraft?«
    Die Soldaten lachten und glotzten mich lüstern an. Ein paar Urintropfen rannen mir über die Beine hinab.
    Doña Matilde keifte: »Pedro, möge Gott dir vergeben. Du bist viel zu grausam zu dem armen Kind. Wenn sie schlecht ist, dann nur, weil du schlecht bist. Komm her, hija mia .« Sie schloss mich in die Arme und presste meine Nase zwischen ihre wogenden, verschwitzten Brüste. »Bei dem grausamen Vater ist es ein Wunder, dass sie uns noch nicht davongelaufen ist«, sagte sie zu den Soldaten und tätschelte meine Perücke. »Es ist alles gut, Nicolasita.«
    Feixend gingen die Soldaten weiter, um den nächsten Wagen zu durchsuchen. Erst, als uns bedeutet wurde, wir könnten weiterfahren, wagte ich zu hoffen, dass ich Sevilla vielleicht doch unentdeckt erreichen könnte.
    Am folgenden Tag und dem darauffolgenden verließ mich immer wieder der Mut, um im nächsten Moment zum Höhenflug anzusetzen, meine Stimmung stürzte in den Hades hinab und schwang sich wenig später zum Himmel empor. Doch als wir beim Reisen allmählich den Herbst hinter uns ließen und die üppigen Gärten und Wälder Andalusiens mit ihrem wuchernden Grün erreichten, sodass die Landschaft mir wie die Dschungel der Neuen Welt erschien, machte sich Hoffnung in mir breit, ich fühlte mich wieder lebendig. Immer schneller schlug mein Herz, je weiter unsere Karawane in dieses fruchtbare Land vordrang, dieses Land mit seinen großen und kleinen Städten, in denen Palmen, flammende Granatapfelbüsche und stets mit Früchten überladene Orangenbäume wuchsen; dieses Land, in dessen Wäldern und Feldern das Lied der zahllosen und vielfältigsten Singvögel widerklang, die in dieser Region der Sonne und der Lebensfreude heimisch waren. Als Junge hatte ich die ersten Märztage in Andalusien geliebt, wenn die heißen Winde, die aus der Sahara heranbrausten und sich beim Weg übers Mittelmeer abkühlten, das spanische Land erreichten und den schlafenden Bäumen und braunen Gräsern neues Leben einhauchten, die Samen und Zwiebeln in der Erde weckten, in den Hainen die Knospen an den Obstbäumen anschwellen ließen und die Hügel mit dem Ausschlagen der Bäume zartolivgrün färbten. Anfang April schließlich verhieß das Lied der wiedergekehrten Nachtigallen, die den hereinbrechenden Abend besangen, ein Füllhorn sinnlicher Freuden, das in der Dunkelheit offenbart würde. Und während die Sonne sank und sich ihr seidiges Licht zuerst über die Bergspitzen und dann die Täler breitete, setzte sie den Duft des Geißblatts frei, der einen mit den üppigen Verheißungen der lavendelfarbenen Dämmerung berauschte. Ganz Andalusien war ein betörendes Land, das einen ebenso verlockte wie die verführerischen Hüftschwünge, die Augen, Hände und Füße der Tänzerinnen in den Teehäusern Córdobas, deren Glöckchen an den kreisenden Hüften, an den Knöcheln und Händen klingelten, während sie Schleier um Schleier ablegten und die Köpfe der gaffenden Männer mit spinnwebenzarten Stoffen umhüllten.
    Entzückt sah ich in der Ferne die endlosen Weizenfelder im Osten Córdobas. War der Weizen reif, konnte man glauben, es seien
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