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Die Leidenschaft des Cervantes

Die Leidenschaft des Cervantes

Titel: Die Leidenschaft des Cervantes
Autoren: Jaime Manrique
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hatte, war wie ein Krebsgeschwür gewuchert, bis er jeden Moment meines Daseins vergiftete. Wenn man einen Menschen mehr hasst, als man einen anderen je geliebt hat, wird der Hass zu einer Art Liebe. Vielleicht kam ich dem Gefühl von Liebe in meinem Hass auf Luis am nächsten. Mein Bedürfnis, ihn zu vernichten, war ebenso zerstörerisch geworden wie sein Bedürfnis, Cervantes zu vernichten. Ich wollte den Mann zermalmen, der meine Seele gekauft und verdorben hatte, ich wollte ihm den Hals umdrehen und den Kopf abreißen. Es hätte mir das größte Vergnügen bereitet, ihn von der Inquisition gefoltert und dann auf dem Scheiterhaufen brennen zu sehen. Seine wohlhabende und adelige Geburt war reiner Zufall gewesen, ebenso gut hätte er als räudiger Hund zur Welt kommen können.
    Das einst prächtige Haus der Laras war all seiner Herrlichkeiten beraubt und von Ratten überlaufen. Luis’ alter Diener Juan war blind, versuchte aber nach wie vor, seinen Herrn anzukleiden und ihm die Mahlzeiten zu servieren. Juan war wie ein uralter Hund, der kaum noch kriechen kann, doch aus Treue zu seinem Herrn nicht stirbt. Und dann war da noch Maria Elena, die Köchin, die die Mahlzeiten zubereitete, die Don Luis nicht aß. Ihre verkommenen Kinder, die sich als Dienstboten und Tagelöhner und weiß Gott was noch verdingten, kamen fast jeden Tag, um sich von ihr verköstigen zu lassen. Sie saßen in der Küche, aßen und tranken, sangen und tanzten und nahmen alles mit, was noch zu verkaufen oder zu versetzen war.
    Anfang 1616 teilte ich Luis mit, dass Cervantes in den Dritten Orden des Heiligen Franziskus eingetreten war. Ich erwartete, dass er sagen würde: »Deswegen ist er um keinen Deut weniger ein Jude!« Aber er sagte nichts. Es war, als hätte er schließlich und endlich seine Niederlage eingestanden und wäre vollständig, unwiederbringlich vernichtet. Er hatte die Fehde verloren. Cervantes war der unbestrittene Sieger.
    Eines Vormittags im April machte in Madrid die Nachricht die Runde, dass Miguel de Cervantes Saavedra, der geliebte und gefeierte Autor des Don Quijote von der Mancha , im Sterben lag und im Kloster der Barfüßer-Trinitarier beigesetzt werden würde. Nach den langen Jahren, in denen ich mich Luis Lara unterworfen hatte – »Ja, Don Luis«, »Natürlich, Euer Gnaden«, »Wie Ihr wünscht, Eure Exzellenz«, »Küss den Hintern? Leck die Füße? Friss die Scheiße? Aber natürlich, sehr wohl, zweifellos, Euer Ehren« –, nach den Jahren meines demütigenden Sklavendaseins, in denen ich jeden seiner Befehle erfüllte, immer nach seiner Pfeife tanzte, war der Moment, auf den ich gewartet hatte, endlich gekommen.
    Ich erwähnte Luis gegenüber das nahende Ende seines Erzfeindes, und die Nachricht versetzte ihn in gute Laune. Es war ein sonniger Frühlingsnachmittag. Ich fragte ihn, ob er nicht Lust auf einen kleinen Spaziergang habe. Der Körper, der nur wenige Stunden zuvor steif wie eine Mumie gewesen war, steckte plötzlich voll Energie. Am Ende seines Straßenabschnitts der Calle Lara blieb ich stehen und tat, als sehe ich das neue Schild zum ersten Mal.
    »Weshalb ist Er stehen geblieben, Pascual?«
    Ich deutete auf die neuen Fliesen, auf denen der Straßenname stand. Die Wege des Schicksals sind wundersam. Calle Lara, seit Jahrhunderten der Name der Straße, in der das Haus der Laras stand, war in Calle Cervantes umbenannt worden.
    Am späteren Abend fand ich Luis tot in seiner Bibliothek, ein Exemplar von Cervantes’ Don Quijote Teil II auf dem Schoß.
    Ich lebte weiter.

DAS ENDE
    22. April 1616
    Meine ureigenen Fürze, die wie kleine Revolverschüsse knallen, reißen mich aus dem Dämmerschlaf. Seit Tagen sind die schwefelig-höllischen Explosionen, die sich in meinem Körper ereignen, als wollte er mich daran erinnern, dass meine endgültige Verwesung bereits eingesetzt hat, die einzigen Botschaften, die ich den Lebenden zukommen lasse.
    Draußen vor meinem Zimmer höre ich die tschilpenden Spatzen, die im Vogelbad auf dem Hof herumspritzen und mit den Flügeln schlagen, als wollten sie die kalten Tage und eisigen Nächte des Winters vertreiben, als feierten sie die bevorstehende Wiederkehr einer Jahreszeit der Fülle und des Lichts. Heute trübt ihr munteres Tschilpen meine letzten Stunden auf Erden, denn es erinnert mich daran, dass ich es nicht mehr erleben werde, wie ein weiterer Sommer die roten Ebenen Kastiliens mit Grün überzieht, wenn auch nur für sehr kurze Zeit. Wenn das Tschilpen
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