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Die Leidenschaft des Cervantes

Die Leidenschaft des Cervantes

Titel: Die Leidenschaft des Cervantes
Autoren: Jaime Manrique
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dass Euer Gnaden der perfekte nom de plume einfallen würde«, sagte ich. »Er wird die Zeiten überdauern.«
    Schließlich, nach wochenlangem Ringen, diktierte Don Luis mir die ersten Zeilen von Don Quijote Teil II :
    »Der Weise Alisolán, ein ebenso fortschrittlicher wie aufrichtiger Geschichtsschreiber, berichtet, dass er nach der Vertreibung der mohammedanischen Mauren aus Aragón – mithin dem Reich, in dem er geboren war – unter gewissen auf Arabisch verfassten historischen Dokumenten eine Erzählung der dritten Fahrt des unbezwinglichen Hidalgos Don Quijote von der Mancha fand, der zur berühmten Stadt Saragossa zog, um an mehreren Turnieren teilzunehmen, die dortselbst ausgetragen wurden.«
    Selbst ich, der ich kein literarischer Kritiker war, sondern lediglich jemand, der Ritterromane las, erkannte, dass dieser Anfang dem Vergleich mit Cervantes’ nicht standhielt: »An einem Ort in der Mancha, ich will mich nicht an den Namen erinnern …«
    Das ist kein guter Anfang, dachte ich. Aber Don Luis hatte mich eingestellt, damit ich die Wörter aufzeichnete, die ihm über die Lippen kamen, und nicht dafür, dass ich deren Wert beurteilte – und ganz sicher nicht in seiner Gegenwart.
    Doch anstatt mir die weitere Erzählung in die Feder zu diktieren, zeichnete Don Luis Landkarten der möglichen Routen, denen Don Quijote folgen würde. »Pascual, um wahrhaft zu sein«, sagte er zu mir, »muss Er nach Saragossa reisen und mir vom Zustand der Straßen berichten, über die mein Ritter ziehen würde, von den Herbergen, in denen er übernachten würde, von der Qualität des Essens und der Schlafräumlichkeiten, und die Namen der Bäume in den Wäldern, in denen Don Quijote und Sancho Panza bisweilen schlafen würden.«
    Ich war überglücklich, von ihm fortzukommen und in den besten Gasthäusern an der Straße nach Saragossa abzusteigen, wo ich stets die Unterkunft verlangte, die Edelleuten und bedeutenden Reisenden vorbehalten war.
    Ein Jahr, nachdem Don Luis mir den ersten Absatz seines Romans diktiert hatte, hatte er immer noch kein einziges weiteres Wort zu Papier gebracht. Vielleicht zur Entschuldigung seiner Säumigkeit sagte er eines Tages zu mir: »Meine Recherchen müssen hieb- und stichfest sein, Pascual. Ich bin überzeugt, meine Leser werden die Wahrhaftigkeit dessen, was ich schreibe, zu schätzen wissen. Wenn es um die Schöpfung von Literatur geht, bin ich der Auffassung, dass die Schildkröte unweigerlich dem Hasen überlegen ist, meint Er nicht auch? Meine Leser sollen wissen, dass ein Punkt, den ich setze, einer philosophischen Äußerung gleichkommt.«
    Unsere Sitzungen in der Bibliothek waren erträglich nur aufgrund seines Wahns, der mich belustigte. Zudem gestattete mir meine Entlohnung, Spielhäuser aufzusuchen, in denen zahlreiche Edelleute – denn meine Taschen waren immer mit escudos , reales und maravedís gefüllt – freundschaftlich mit mir verkehrten. Aufgrund meines Pechs am Spieltisch und der anderen kostspieligen Vergnügungen, die in diesen Etablissements angeboten wurden, hatte ich immer Schulden. Aber ich war nicht bereit, mein neues Leben aufzugeben.
    In Don Luis’ Gemächern standen Truhen, in denen er den Gewinn aus den Weinbergen und Obstgärten seiner Familie in der Nähe von Toledo hortete. Jeden Tag, wenn er in der Familienkapelle betete, entfernte ich aus den größten Truhen ein paar Goldmünzen. Das Vermögen, das er in seinen Gemächern verwahrte, war so groß, dass er die paar escudos , die ich entnahm, um mein Leben freudvoller zu gestalten, gar nicht bemerken würde. Ich würde nie die Welt sehen, also sollten die Spielhäuser mich dafür entschädigen.
    Womöglich hatte Don Luis geglaubt, dass der Don Quijote , wie so viele andere Romane, die in jeder neuen Saison Aufsehen erregten, bald vergessen sein würde. Das mochte einer der Gründe sein, weshalb die Niederschrift von Don Luis’ erstem Kapitel nicht über den ersten Absatz hinausgekommen war, den er täglich umschrieb, ohne dass er, meiner Ansicht nach, je besser geworden wäre.
    Als dann aber bekannt wurde, dass Don Quijote 1607 als Übersetzung in Brüssel erschienen war und dass der Roman dort sowie in Frankreich zur Sensation geriet und dass Übersetzungen ins Englische und in andere Sprachen angefertigt würden, beeilte Don Luis sich, einen zweiten Absatz und dann einen dritten zu diktieren, und so fort, bis das erste Kapitel abgeschlossen war.
    Anstatt weiter an seiner Geschichte zu arbeiten,
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