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Die Leidenschaft des Cervantes

Die Leidenschaft des Cervantes

Titel: Die Leidenschaft des Cervantes
Autoren: Jaime Manrique
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werden, dass ich mein Interesse an Frauen verloren hätte und es mich nach Männern verlangte. Die Gefahr war groß, dass ich auf dem Scheiterhaufen verbrannt oder in einer dunklen Gasse ermordet wurde, wie der berüchtigte Dichter Alvaro de Luna. Schon früh in seiner Regierungszeit hatte Philipp II. begonnen, Sodomiten öffentlich hinzurichten. Derartige Exekutionen waren zwar selten, andererseits verging kein Jahr, in dem nicht ein als Sodomit bekannter Mann auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde. Und diejenigen, die dieses Schicksal ereilte, waren nie Mitglieder des Adels, sondern Männer wie ich. Die Ehe war die beste Möglichkeit, derartigen Vorwürfen zu entgehen, doch für mich würde die Ehe eine andere Art von Tod darstellen. Don Luis’ Angebot war eine glückliche Fügung: Für einen einflussreichen Mann untadeligen Ansehens zu arbeiten und zu seinem Haushalt zu gehören, konnte mir womöglich das Leben retten.
    Ich schloss das Haus, in dem ich mit meiner Mutter praktisch mein ganzes Leben verbracht hatte. Wir besaßen so gut wie nichts, das sich aufzuheben lohnte, ich behielt nur einige Andenken und verschenkte den Rest an wohltätige Einrichtungen. In Don Luis’ Haus wurden mir die dunklen Gemächer zugewiesen, in denen einst Doña Mercedes gelebt hatte. Ich hellte die Wände auf, ersetzte die morbiden Statuen gefolterter Heiliger und blutender Christusfiguren am Kreuz durch farbenfrohe Teppiche, Vorhänge und Gobelins, die nie benutzte Gästezimmer geschmückt hatten.
    Don Luis begann ernsthaft über den Aufbau seines Romans zu sprechen. Er zeigte mir Zeichnungen, die er von seinen Figuren gemacht hatte, las mir ausgeklügelte Skizzen vor und erläuterte, wie sie sich weiterentwickeln würden. Doch die Zeit verging, und er schrieb nichts. Von mir erwartete er, dass ich mich jeden Vormittag mit ihm in der Bibliothek traf und jeden Abend mit ihm speiste, sonst hatte ich keine Verpflichtungen. Es dauerte eine Weile, bis ich mich an den Umstand gewöhnte, in einem der großen Häuser von Madrid zu leben und zum ersten Mal Kleider zu tragen, die eigens für mich gemacht worden waren und in denen ich wie ein Angehöriger des Adels aussah. Ich wurde Stammgast der exklusivsten Spielhäuser. Vielleicht zum ersten Mal in meinem Leben war ich glücklich.
    Im Jahr 1603 zog Miguel de Cervantes zu seinen Schwestern und seiner Tochter Isabel nach Madrid. Es war merkwürdig, die erloschene Flamme des Hasses in Don Luis’ Herz wieder auflodern zu sehen.
    Eines Vormittags, als wir in der Bibliothek saßen und die Reihenfolge der Notizen für seinen Roman erörterten, sagte Don Luis unvermittelt: »Er weiß, dass er hier in der Stadt ist, nicht wahr? Mir ist klar, weshalb Er es mir gegenüber nicht erwähnt hat: Er will mich schützen. Aber ich werde keinen Frieden finden, ehe ich weiß, womit er jetzt seine Zeit zubringt.«
    Ich erbot mich, meine alte Arbeit als Spion wieder aufzunehmen.
    »Nein, das kommt nicht in Frage, Pascual. Er hat jetzt eine höhere Stellung, Er ist mein persönlicher Sekretär. Für mich zu spionieren, wäre unter Seiner Würde. Aber ich beauftrage Ihn, einen Mann anzuheuern, der Miguel auf Schritt und Tritt folgt und Ihm Bericht erstattet. Ich werde erst ruhen, wenn ich herausgefunden habe, weshalb er nach all den Jahren nach Madrid zurückgekehrt ist. Ich bin überzeugt, dass er etwas im Schilde führt.«
    Die Cervantes-Sippe hatte ein Haus in einem Handwerkerviertel gemietet. Die Frauen ernährten die Familie durch Näharbeiten. Gerüchtehalber hieß es, Andrea bekomme nach wie vor finanzielle Entschädigungszahlungen von einem früheren Liebhaber. Von Cervantes selbst hörte man wenig. Er ging selten aus dem Haus und besuchte auch die berüchtigten Tavernen nicht mehr, in denen er in seiner Jugend ein- und ausgegangen war. Jeden Abend sah man ihn hinter einem Fenster im ersten Geschoss an einem Tisch sitzen und im Schein einer Kerze bis in die frühen Morgenstunden schreiben. Eine der Schwestern hatte einer Nachbarin gegenüber erwähnt, dass ihr Bruder an einem Roman arbeite.
    Als ich das Don Luis zutrug, sagte er: »Miguel war einmal Schriftsteller. Seit der entsetzlichen Galatea hat er nichts mehr veröffentlicht, seitdem sind fast zwanzig Jahre vergangen. Nein, ich glaube nicht, dass er einen zweiten Roman schreibt. Oder zumindest keinen von literarischem Wert.«
    Noch während er das sagte, hatte ich den Eindruck, dass Don Luis seinen eigenen Worten nicht glaubte. Die Vorstellung,
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