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Die Leidenschaft des Cervantes

Die Leidenschaft des Cervantes

Titel: Die Leidenschaft des Cervantes
Autoren: Jaime Manrique
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Cervantes würde nie wieder etwas veröffentlichen, entzückte ihn allerdings über die Maßen.
    Dann, ebenso überraschend, wie die Familie nach Madrid gekommen war, packte sie wieder ihre Habseligkeiten und siedelte nach Valladolid um. Ich informierte Don Luis sofort über diese neue Entwicklung. Das war zumindest ein Gesprächsthema, und ein anderes als sein in Aussicht stehender Roman.
    »Weshalb diese ständigen Umzüge, Pascual? In eine andere Stadt zu ziehen, kostet viel Geld. Sie werden zu alt, um ihr ewiges Wanderleben aufrechtzuerhalten. Nein, ich bin überzeugt, dass er etwas zu verbergen hat, meint Er nicht auch? Da muss mehr dahinterstecken als nur ein Roman, den er schreibt. Aber was könnte es sein?«
    Etwa zu der Zeit wurde mir klar, dass ich für einen Mann arbeitete, der nicht mehr klar im Kopf war. Das machte mir Sorgen: Wahnsinn ist ansteckend. Wer sich häufig in der Gegenwart eines Menschen aufhält, der den Verstand verloren hat, fängt an, die Welt mit dessen verzerrtem Blick wahrzunehmen.
    In Madrid verbreitete sich die Nachricht, dass auf der Türschwelle des Cervantes-Hauses in Valladolid ein Mann ermordet worden war, woraufhin die Familie kurzzeitig ins Gefängnis kam.
    »Wie befremdlich! Wirklich befremdlich!«, sagte Don Luis. »Ich bin mir sicher, dass er den Mann ermordet hat, Pascual. Das hatte etwas mit seinen hurenden Schwestern zu tun. Wie schade, dass die Cervantes freigesprochen wurden. Miguel hätte schon längst auf Lebenszeit aus dem Königreich verbannt werden müssen. Er ist immer schon ein Verbrecher gewesen, praktisch seit seiner Studentenzeit.«
    Dann, im Dezember 1605, erschien bei Francisco de Roble in Valladolid Don Quijote . Sofort beauftragte Don Luis mich, bei einem der angesehensten Buchhändler ein Exemplar zu bestellen aus Angst, das Buch könne ausverkauft sein, bevor er eines in die Hände bekam. Es gab bereits eine lange Liste mit den Namen von Käufern, die darauf warteten, dass Exemplare des Werkes in Madrid eintrafen. Obwohl Don Quijote erst vor wenigen Wochen erschienen war, hatte die spanische Öffentlichkeit es mit einer Begeisterung aufgenommen, wie ich sie meiner Lebtage noch nicht gesehen hatte. Über Nacht war Miguel de Cervantes Saavedra berühmt. Wo immer ich hinging, jeder sprach über den Roman. Selbst Menschen, die ihn nicht gelesen hatten, kannten zumindest eine komische Episode daraus.
    Als ich Don Luis sein Exemplar des Buches gab, zog er sich in die Bibliothek zurück und verließ sie zwei Tage nicht mehr. Wann immer ich in der Zeit an der Tür vorbeiging, hörte ich ihn Cervantes verfluchen oder stöhnen wie unter der Folter der Inquisition.
    Der Tod seines Sohnes war ein verheerender Schicksalsschlag für ihn gewesen. An guten Tagen sah er aus wie ein Leichnam, der gerade aus dem Grab auferstanden war. Aber der Erfolg des Don Quijote und Cervantes’ Ruhm kamen fast schon einer Beleidigung seiner Ehre gleich. Eines Tages sagte er beim Essen unvermittelt: »Ich habe gehört, dass selbst der König beim Lesen des Buchs gesehen wurde und herzhaft lachte. Das bedeutet, dass alle Höflinge es auch gelesen haben, um sich bei seiner Majestät beliebt zu machen.« Er konnte seine Wut kaum beherrschen, sodass seine Stimme zitterte, als er fortfuhr: »Was Er nicht weiß, ist, dass ich an einem weinseligen Abend vor vielen Jahren, als Miguel und ich junge Freunde waren, ihm von meiner Idee erzählte, die Geschichte eines Träumers zu schreiben, der seine Familie durch seine fantastischen Pläne in den Ruin treibt.« Don Luis machte eine Pause, als wollte er mir Zeit geben, das Gesagte richtig zu mir vordringen zu lassen. »Das sage ich Ihm, damit Er mich nicht einfach für einen neidischen Menschen hält. Er hat seinen gefeierten Don Quijote von mir gestohlen!«
    An dem Tag erkannte ich, dass Neid und Hass die Kräfte waren, die Don Luis in dieser Welt hielten, und dazu die Hoffnung, dass er eines Tages Rache nehmen würde. Ich bekam Mitleid mit ihm. »Wenn es Euch ein Trost ist, Euer Gnaden«, sagte ich, »ich habe gehört, dass er seinem Verleger die Rechte für ein Linsengericht verkauft hat. Trotz seines Ruhms ist Miguel de Cervantes Saavedra so arm wie zuvor.«
    »Ha«, sagte Don Luis und lächelte, auf einmal glühte sein Gesicht vor Befriedigung.
    Einige Monate nach dem Erscheinen von Don Quijote zogen Cervantes und sein Hofstaat weiblicher Anverwandter wieder nach Madrid.
    Es war uns zur Gewohnheit geworden, uns außer sonntags jeden
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