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Die Leiche am Fluß

Die Leiche am Fluß

Titel: Die Leiche am Fluß
Autoren: Colin Dexter
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einen anderen Namen annehmen zu können. Das weiß ich aus eigener Erfahrung. Meine Eltern waren hebe Menschen, aber leider ließen sie es sich nicht nehmen, mich auf den Namen Cecil Paul taufen zu lassen. Ich war kaum eingeschult, da nannten mich die anderen Kinder — Sie können’s sich ja denken...»
    Morse nickte verständnisvoll.
    «Kay hat wegen ihres Nachnamens viel Hohn und Spott erdulden müssen. Und als sich dann die Gelegenheit ergab, ihn zu ändern, war es nur zu verständlich, daß...»
    «Wie war denn ihr Nachname?» wollte Morse wissen.
    Taylor sagte es ihm.
    Arme Ellie...
    Doch sehr bald war ihr der Name Brooks zutiefst verhaßt. Und als der Namensträger sie schließlich aus dem Haus trieb, wählte sie für ihr neues Leben den schlichten Allerweltsnamen Smith, bei dem keinerlei unliebsame Überraschungen zu erwarten waren. Auch Morse hatte wegen eines Namens — in seinem Falle des Vornamens — Hohn und Spott erdulden müssen und fühlte sich ihr in diesem Moment sehr nah. Was hätte er jetzt nicht dafür gegeben, von ihr zu Hause erwartet zu werden...

    Ellie Morse?
    Eleanor Morse?
    Schwer zu sagen.
    Morse wäre das eine so recht gewesen wie das andere, als er langsam zum Cornmarket ging. Dort mußte er fünfundzwanzig Minuten auf den Bus warten, der ihn in seine Junggesellenwohnung in North Oxford zurückbrachte.

70

    Dann Leiden für und für; denn für und für mag nichts Geringeres es tun.
    (J. G. F. Potter, Anything to Declare?)

    Die junge Frau in Mike Williamsons Wagen, von der auf diesen Seiten hauptsächlich als Ellie Smith die Rede war, wischte sich kurz die Augen und schwieg beharrlich. Sie dachte in diesem Moment nicht so sehr an Morse, sondern an das, was sie ihm hätte erzählen können. Oder vielmehr an das, was er nie von ihr erfahren würde...
    Sie dachte an den schrecklichen Dienstagabend, als ihre Mutter angerufen und flehentlich um Hilfe gebeten hatte. Sie hatte den sympathischen kleinen Waliser weggeschickt und war hingefahren. Ihre Mutter stand wie ein Zombie in der Diele und rieb sich mit der Linken die behandschuhte Rechte, als habe sie Schmerzen. In der Küche lag Ellies Stiefvater auf dem Linoleumboden. Genau zwischen seinen Schulterblättern steckte ein fremdartig aussehendes Messer mit Holzgriff. Merkwürdigerweise war kaum Blut zu sehen. Vielleicht hatte er nie viel Blut gehabt — jedenfalls kein warmes.
    Fünf Minuten später war die Rothaarige gekommen und hatte erstaunlich kompetent, erstaunlich zielstrebig das Kommando übernommen. Man hatte fast den Eindruck, als liefe alles nach einem vorher festgelegten Plan ab. Die Requisiten lagen schon im Gartenschuppen bereit, nur das Timing stimmte nicht — als sei die Generalprobe unversehens zur Premiere geworden. Und das lag mit Sicherheit an ihrer Mutter, die am Start vorzeitig losgeprescht war und die Zügel selbst in die Hand (die rechte Hand) genommen hatte.
    Dann hatte die Rothaarige kurz telefoniert, und nach zehn Minuten war ein junger Mann aufgekreuzt, mit dem sie leise in der Diele gesprochen hatte. Merkwürdige Zufälle gab es: Sie, Ellie, kannte den jungen Mann vom Sehen, sie waren zusammen in einem Kampfsportkurs gewesen, aber sie wechselten kein Wort miteinander. Er schien kaum zu merken, daß sie da war, während er die unhandliche Leiche in die Plastikhüllen bugsierte.
    Sogar sein Name war ihr wieder eingefallen, der Vorname zumindest. Kevin...

    Als der Wagen von der Park End Street nach rechts zum Bahnhof einbog, kehrten Ellies Gedanken notgedrungen wieder in die Gegenwart zurück. Sie merkte, daß Williamsons Linke sich an ihrem Schenkel bis zum rechten Strumpfrand hochgearbeitet hatte. Aber mit Typen wie Williamson würde sie immer fertig werden. Spielend. Während er das Gepäck aus dem Kofferraum wuchtete, sagte er:
    «Und du rufst an, Süße, abgemacht?»
    Ellie nickte. Sie nahm die Visitenkarte aus der Handtasche und las die Telefonnummer laut vor.
    «Okay. Und paß auf — mit deiner Figur machen wir beide noch das große Geschäft.»
    Es wäre eine nette Geste gewesen, wenn er ihr angeboten hätte, die Koffer die Treppe zum Bahnsteig hoch oder auch nur bis zum Fahrkartenschalter zu tragen, aber sie war ganz froh, daß er es nicht tat. Sonst hätte sie sich wohl oder übel, nachdem sie unbestimmt von «Freunden in London» gesprochen hatte, eine Fahrkarte nach Paddington kaufen müssen. Jetzt verlangte sie eine einfache Fahrt nach Liverpool und schleppte ihr Gepäck ohne Hilfe über die
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