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Die Leiche am Fluß

Die Leiche am Fluß

Titel: Die Leiche am Fluß
Autoren: Colin Dexter
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Fußgängerbrücke zum Bahnsteig zwei. Während der fünfundzwanzig Minuten, die sie dort auf ihren Zug warten mußte, vergaß sie eine Weile das, was ihrer Mutter nun bevorstand, und die kleine Rolle, die sie selbst beim Tod des verhaßten Stiefvaters gespielt hatte. Sie griff nach dem goldenen Anhänger und dachte an den Mann, der ihr dieses Geschenk gemacht hatte und dem sie alles gegeben hätte, was sie besaß. Wenn er sie nur hätte lieben können.

Epilog

    Das Leben ist ein Fortschreiten von Wunsch zu Wunsch, nicht von Genuß zu Genuß.
    (Samuel Johnson in Boswells Das Leben Samuel Johnsons)

    Wir schreiben Freitag, den 28. Oktober 1994, das Fest des hl. Simon und des hl. Judas, und es ist an der Zeit, diese Chronik abzuschließen. Es bleibt nur wenig Raum, um das eine oder andere über einige der handelnden Personen nachzutragen, die uns auf diesen Seiten begegnet sind.
    Am Donnerstag, dem 20. Oktober, wurde Mrs. Brenda Brooks erneut festgenommen, des Mordes an ihrem Ehemann Edward Brooks angeklagt und ins Gefängnis von Holloway eingeliefert. Von dort durfte sie in Begleitung einer Vollzugsbeamtin an einer Trauerfeier im Krematorium von Oxford teilnehmen. In der kleinen Aussegnungskapelle hatten sich zahlreiche Lehrkräfte der Proctor Memorial School und einige Verwandte und Freunde versammelt; das Ehepaar aus Kalifornien allerdings hatte so kurzfristig nicht anreisen können.
    Hnzu kamen zwei weitere Trauergäste — ein durch Narben im Gesicht entstellter Kevin Costyn und ein sehr blasser Inspector Morse. Beide beteten die (wie letzterer fand) banale Überarbeitung von Erzbischof Cranmers wunderschönem Text zum Gedenken an die Toten nicht mit.
    Als letzter hatte sich ein offenbar gutsituierter Herr mittleren Alters in dunklem Anzug in die hinterste Reihe links vom Gang neben Morse gesetzt. Unbeachtet hatte er seine Blumengabe — einen Kranz weißer Lilien — zu den übrigen gelegt. Auf der Karte standen ohne Anrede, ohne Grußformel jene Worte, die Julia Stevens vor eineinhalb Jahren auf einer Geburtstagskarte gelesen hatte: «Vergiß nicht, daß wir auch gute Zeiten miteinander hatten.»

    Das neue Heim des aristokratischen Katers St. Giles ist nicht mehr in Oxford, aber er ist mit der Gegend nicht unzufrieden. Besonders gefallen ihm die Felder hinter dem Kingfisher Way 22 in Bicester und das weiche, beigefarbene Ledersofa, auf dem er viele Stunden des Tages verschläft, bis seine attraktive junge Herrin von ihrer täglichen Arbeit bei der Oxford University Press zurückkommt.

    Janis Lawrence ist wieder einmal arbeitslos — nur vorübergehend, wie sie hofft und ihr vertrautes «Hör endlich auf mit Steineschmeißen, Jason!» ist immer noch in der Cutteslowe-Siedlung zu hören.

    Alles in allem ist Mrs. Lewis mit der Arbeit der Maler sehr zufrieden. Besonders freut sie sich über das Geschenk ihres Mannes, ein fünfteiliges Messer-Set für die Küche, schöne solide Messer mit schwarzem Griff, von denen eins (Nummer vier) eine an der Basis ungewöhnlich breite Klinge hat, die sich nach oben zu einer bedrohlich wirkenden Spitze verjüngt.
    Die ehemalige Wohnung von Dr. Felix McClure (deren Wohnzimmer einen nagelneuen Teppichboden bekommen hat) ist jetzt seit zwei Wochen auf dem Markt, aber bisher hat Mrs. (Miss?) Laura Wynne-Wilson auf ihrem Beobachtungsposten hinter den gefällig gerafften Tüllgardinen noch keinen einzigen potentiellen Käufer gesichtet. Und die für ihre zuverlässigen Maßangaben bekannte Maklerfirma Adkinson fürchtet sehr, daß der brutale Mord in Nummer 6 die Käufer zumindest vorläufig abgeschreckt hat, was durchaus verständlich wäre.

    Und was macht Morse?
    Das Treffen mit Strange, bei dem sie mit vereinten Kräften die komplizierten Formulare angehen wollten, hat noch nicht stattgefunden, und Morse hat es auch nicht eilig, einen Termin festzulegen, denn er hat sich wegen seiner Pensionierung noch nicht entschieden und ist, was die nächsten Monate betrifft, ohnehin merkwürdig unentschlossen.
    Natürlich wußte er von vornherein, daß es hoffnungslos war, Ellie Smith anzurufen, und versuchte es deshalb in der ersten Woche nur dreimal und in der zweiten Woche zweimal. Schließlich ist Hoffnung eine der höchsten christlichen Tugenden, wie Morse sich ins Gedächtnis rief, aus der Zeit, als er noch glauben konnte.
    Die dritte Woche schien schon wieder mehr oder weniger normal zu verlaufen. Abends um halb zehn konnte man ihn in der Banbury Road den einen oder anderen Pub
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