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Die Leiche am Fluß

Die Leiche am Fluß

Titel: Die Leiche am Fluß
Autoren: Colin Dexter
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in Nummer 3 hatte sich ausführlich darüber ausgelassen, daß sie an dem bewußten Vormittag nichts gehört hatte. Das Ehepaar aus Nummer 4 war auf einer «Rettet die Wales-Demonstration in Wytham Woods gewesen, die Mieter in Nummer 7 waren auf Urlaub in Tunesien, und die Käufer von Nummer 8 hatten das Badezimmer renoviert und dabei pausenlos das Radio laufen lassen, wo die beliebte Familienserie The Archers wiederholt wurde (Morse ließ endlich wieder einmal etwas Interesse erkennen).
    «Ziemlich dürftige Anhaltspunkte», räumte Phillotson ein, wies aber nicht ohne Stolz auf zwei grüne Aktenkästen mit Berichten und Aussagen und Notizen und losen Blättern sowie einem genauen Plan von McClures Wohnung. Für Morse waren solche Pläne mit ihren Bogen und Strichen und Pfeilen und gepunkteten Linien und Maßangaben ein Buch mit sieben Siegeln. Er sah deshalb die von der Immobilienfirma Adkinson erstellte Dokumentation nur flüchtig durch. Als Phillotson zu Ende war, stand er auf. «Und wie geht’s Ihrer Frau? Ich wollte vorhin schon fragen...»
    «Leider gar nicht gut», sagte Phillotson bedrückt.

    «Ein richtiger Trauerkloß, Lewis.»
    Sie waren wieder im Büro des Chief Inspector, und Lewis bemühte sich, die unhandlichen Aktenkästen noch irgendwo auf dem überfüllten Schreibtisch unterzubringen.
    «Er sorgt sich offenbar sehr um seine Frau, wenn...»
    «Quatsch. Er wußte einfach nicht, wo er weitermachen sollte.»
    «Und wir wissen das?»
    «Zunächst mal würde mich interessieren, welche Zeitung McClure zuerst gelesen hat.»
    «Wenn überhaupt...»
    Morse nickte. «Weiter möchte ich gern wissen, ob er an diesem Vormittag irgendwelche Telefongespräche geführt hat.»
    «Können wir uns nicht von British Telecom eine Aufstellung geben lassen?»
    «Warum nicht?» gab Morse unbestimmt zurück.
    «Sie wollen sicher die Leiche sehen.»
    «Wie kommen Sie denn darauf?»
    «Ich dachte nur...»
    «Höchstens das Hemd. Längsstreifen in Braun und Blau, nicht?» Morse fuhr mit dem Zeigefinger der Linken an der Innenseite seines ziemlich engen und ziemlich abgestoßenen Hemdkragens entlang. «Ich denke daran, meine — äh — Garderobe aufzustocken.»
    Sein kleiner Witz kam bei Lewis nicht an. Der Sergeant fand es nur verwunderlich, daß Morse sich scheinbar mehr für das Hemd eines Toten als für die Frau eines Kollegen interessierte. Scheinbar oder anscheinend — das war bei Morse immer die Frage, denn was in diesem erstaunlichen Hirn wirklich vorging, wußte im Grunde niemand.
    «Haben wir irgendwas Brauchbares von Phillotson erfahren, Sir?»
    «Sie vielleicht. Ich nicht. Als ich sein Büro betrat, wußte ich über den Fall genausoviel wie vorhin, als wir wieder gegangen sind.»
    «Wie bei Omar Chayyam, nicht?» sagte Lewis unschuldig.

4

    Krook schrieb den Buchstaben mit Kreide an die Wand, und zwar auf sehr wunderliche Weise. Er begann mit dem Ende des Buchstabens und schrieb ihn von hinten nach vorn. Er war groß geschrieben, aber kein Druckbuchstabe.
    «Können Sie das lesen?» fragte er und sah mich scharf an.
    (Charles Dickens, Bleakhaus)

    Das nach den (zweifelsohne zuverlässigen) Plänen der Firma Adkinson 4 mal 6,1 Meter große Wohn-und-Eß-Zimmer (der Tatort) war typisch für den Wohnbereich eines pensionierten Oxford-Professors: ein Eichentisch mit vier Stühlen, ein braunes Ledersofa, ein passender Sessel, Fernseher, CD-Player und Kassettenrecorder, in deckenhohen Regalen Bücher über Bücher. Büsten von Homer, Thukydides, Milton und Beethoven. Eigentlich nicht genug Platz für die vielen Bilder (unter anderem aus der Pittura Pompeiana-Serie der Kopf des Theseus, der den Minotaurus erschlägt). Drei der Büsten erkannte Morse sofort, beim Bronzekopf des Thukydides mußte er raten. Lewis hingegen hatte alle vier sofort identifiziert, er hatte bessere Augen als Morse, und die Namen der Unsterblichen standen in sehr kleinen Versallettern auf den Sockeln.
    Morse blieb einen Augenblick neben dem Sessel stehen und sah sich um, ohne etwas zu sagen. Durch die offenstehende Tür der Küche (2,25 mal 3,15) sah er an einer Wand den Oxford Almanack hängen und ging näher heran, um «St. Hilda’s College» nach einem Aquarell von Sir Hugh Casson R. A. zu bewundern. Der Kalender war vom vorigen Jahr, wie Morse merkte, als er die Jahreszahl las: MDCCCCLXXXXIII. Gab es wohl im zwanzigsten oder irgendeinem anderen Jahrhundert eine Jahreszahl, die noch länger war? Vierzehn Buchstaben für 1993.
    Aber mit
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