Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Leiche am Fluß

Die Leiche am Fluß

Titel: Die Leiche am Fluß
Autoren: Colin Dexter
Vom Netzwerk:
Wohnung eingedrungen war.
    «Sehr ungewöhnliche Art des Zugangs, wie Sie wissen. Mit ziemlicher Sicherheit ist er durch dieselbe Tür hinausgegangen, durch die er hereingekommen ist.»
    «Wie bei Omar Chayyam», sagte Morse halblaut.
    Phillotson guckte verdattert, der Name sagte ihm offenbar nichts.
    Zugang von der Haustür aus, die eine Gegensprechanlage hat. McClure selbst muß den Besucher — oder die Besucherin — hereingelassen haben. Demnachjemand, den McClure kannte? Höchstwahrscheinlich.
    Die Zeit? Auf jeden Fall am Sonntag morgen nach halb neun, denn gegen acht hatte McClure in dem Zeitungsladen in Summertown, wo man ihn vom Sehen, wenn auch nicht dem Namen nach kannte, zwei Zeitungen gekauft, die News of the World und die Sunday Times, eine zur Befriedigung der niederen Instinkte, eine als Lektüre für den Kulturmenschen. Beide Blätter hatten — ohne Blutspuren — auf der Arbeitsfläche der «modernen Einbauküche» gelegen, wie es in den Immobilienanzeigen immer so schön heißt.
    Später als halb neun also. Aber wann genau? Nach den vorläufigen oder vielmehr inzwischen gar nicht mehr so vorläufigen Feststellungen der Pathologin war McClure etwa zwanzig Stunden tot, als ihn am nächsten Morgen um 7.45 Uhr seine Putzfrau fand.
    Demnach kam eine Tatzeit zwischen zehn und zwölf am Vortag in Frage. Ungefähr. Im Ungefähren halten sich diese verflixten Pathologen ja bekanntlich am liebsten auf. (Morse dachte an Max und lächelte traurig, denn das brauchte ein Phillotson ihm nicht erst zu sagen.)
    Es gab noch einen Hinweis darauf, daß die Tat höchstwahrscheinlich vor zwölf Uhr mittags begangen worden war, nämlich die deutlich erkennbare — und klar erkannte — Tatsache, daß in Wohnung 6 keine Vorbereitungen für ein Mittagessen getroffen worden waren, weder Fleisch noch Gemüse herumlag. Allerdings war diese Folgerung nicht unbedingt schlüssig, denn entsprechende Erkundigungen hatten bereits ergeben, daß McClure sich nicht selten in dem bequem zu Fuß erreichbaren King’s Arms an der Banbury Road den Sonntagslunch zum Sonderpreis von 3,99 Pfund bestellte — ein Zweihundert-Gramm-Steak, Pommes frites, Salat — , dazu zwei Pints Best Bitter. Keinen Nachtisch. Keinen Kaffee. Doch auch Spuren von Steak oder Pommes oder grünem Salat hatte die Pathologin nicht gefunden, als sie den weißen Bauch von Dr. Felix McClure aufgeschlitzt hatte. Keinerlei Hinweise auf eine mittägliche Stärkung.
    Die Leiche war in fötaler Stellung zusammengekrümmt, als man sie gefunden hatte, beide Hände in den Unterbauch gekrallt, die Augen fest geschlossen, als sei McClure unter qualvollen Schmerzen gestorben. Bekleidet war er mit einem Kurzarmhemd (blaue und braune Längsstreifen), einer schwarzen Jaeger-Strickjacke und einer anthrazitfarbenen Flanellhose. Der untere Teil des Hemdes und die oberen Regionen der Hose waren steif von angetrocknetem Blut.
    McClure war einer dieser «ewigen Studenten» gewesen (O-Ton Phillotson). 1946 hatte er ein Stipendium für Oxford bekommen, dort ein Einserexamen in Geschichte und Altphilologie gemacht und danach über vierzig Jahre seines Lebens als Tutor für Alte Geschichte am Wolsey College gearbeitet. 1956 hatte er eine seiner Studentinnen geheiratet, eine junge Frau vom Somerville College, die nach Abschluß ihres Studiums eine Dozentenstelle in Merton bekam und ihn 1966 (die entscheidenden Ereignisse in McClures Leben vollzogen sich offenbar im Zehnjahresrhythmus) wegen eines ihrer Studenten, einem bärtigen jungen Mann vom Trinity College, verließ. Kinder waren aus der Ehe nicht hervorgegangen, die Trennung hatte deshalb keine juristischen Probleme, vielleicht aber einiges an Kummer mit sich gebracht.
    Veröffentlicht hatte er hauptsächlich Artikel in verschiedenen Fachzeitschriften für das Klassische Altertum, hatte aber noch das Erscheinen seines opus magnum erlebt: Die Pest in Athen: Ihre Auswirkungen auf Verlauf und Führung des Peloponnesischen Krieges. Ein langer Titel. Ein langes Werk.
    Zeugen?
    Von den acht Luxusapartments waren vier verkauft, zwei vermietet, zwei — die Nummer 5 unter McClure und die Nummer 2 — hatten noch keine Abnehmer gefunden. Eine Befragung der Hausbewohner hatte keine brauchbaren Informationen ergeben. Das frischgebackene Ehepaar in Nummer 1 hatte den Sonntagvormittag hauptsächlich im Bett verbracht — ohne Frühstück, ohne Zeitungen, nur mit sich selbst beschäftigt. Die extrem schwerhörige alte Dame mit dem blaugetönten Haar
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher