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Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen

Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen

Titel: Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
Autoren: Robin Hobb
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wieder hinuntergefahren. Wir haben entdeckt, daß Nachtauge nicht gerne auf dem Wasser unterwegs ist und daß ich keine Gegenden mag, wo es keinen Winter gibt. Wir haben die Grenzen von Veritas’ Karten überschritten.
    Ich hatte geglaubt, ich würde nie wieder in die Marken zurückkehren. Und doch: In einem Jahr haben die Herbstwinde uns hergeweht, und wir sind geblieben. Die Hütte, in der wir uns eingerichtet haben, gehörte einem Köhler. Sie liegt nicht weit entfernt von Ingot, oder vielmehr, wo Ingot einst gewesen ist. Das Meer und die Winter haben die Stadt ausgelöscht und die bösen Erinnerungen, die mit ihr verbunden sind. Eines Tages werden die Menschen wieder herkommen, um das wertvolle Eisenerz abzubauen, aber nicht so bald.
    Wenn Merle kommt, macht sie mir Vorwürfe, weil ich mich in der Einsamkeit vergrabe, denn sie sagt, ich sei noch ein junger Mann. Was, fragt sie dann herausfordernd, sei aus meinen großen Worten von damals geworden, daß ich eines Tages ein eigenes Leben haben wolle? Ich antworte ihr, ich hätte es gefunden. Hier, in meiner Hütte, mit meinen Aufzeichnungen und meinem Wolf und meinem Famulus. Manchmal, wenn wir uns geliebt haben, und ich liege danach wach und lausche ihren gleichmäßigen Atemzügen, nehme ich mir vor, am nächsten Morgen aufzustehen und meinem Leben einen neuen Sinn zu geben. Doch an den meisten Tagen, wenn ich morgens die Augen aufschlage und all die kleinen und großen Schmerzen mit mir erwacht sind, glaube ich nicht mehr, daß ich ein junger Mann bin. Ich bin ein alter Mann, gefangen in einem jungen, narbigen Körper.
    Die Gabe in mir kommt nicht zur Ruhe. Besonders in den Sommern, wenn ich an den Klippen entlanggehe und über das Meer schaue, fühle ich mich versucht hinauszugreifen, wie Veritas es einst getan hat. Manchmal tue ich es und habe Teil an der Freude einer Fischersfrau über ihren Fang oder den häuslichen Sorgen des Maats auf einem vorüberfahrenden Kauffahrer. Die Qual besteht darin, wie ich nun selbst erfahre, daß nie eine Antwort kommt. Einmal, als der Gabenhunger in mir sich steigerte bis hin zu Wahnsinn, griff ich sogar hinaus zu Veritas-als-Drache und beschwor ihn, mich zu hören und mir zu antworten.
    Doch er tat es nicht.
    Edels Kordialen sind längst zerfallen, weil es keinen Gabenmeister gab, um sie zu schulen. Selbst in den Nächten, wenn ich in der Verzweiflung meinen Gabenruf hinaussende wie ein Wolf sein trauriges Heulen zum Mond empor und darum flehe, irgend jemand irgendwo möge mich hören, erhalte ich keine Antwort – nicht einmal ein Echo. Dann sitze ich an meinem Fenster und schaue durch den Dunst am Kap der Geweihinsel vorbei ins Nichts. Ich falte die Hände ineinander, weil sie zittern, und weil ich mich an mir selbst festhalten muß, um mich nicht in den Gabenfluß zu stürzen, der darauf wartet, immer darauf wartet, mich hinwegzutragen. Es wäre so leicht. Manchmal ist alles, was mich zurückhält, nur die Berührung eines Wolfs in meinem Bewußtsein.
    Mein Famulus hat gelernt, was dieser Blick bedeutet, und er mißt sorgfältig die Elfenrinde ab, die die Gabe dämpft, und fügt Carryme hinzu, damit ich schlafen kann, und Ingwer, um den bitteren Geschmack der Rinde zu überdecken. Dann bringt er mir die Feder und Papier und Tinte und überläßt mich meiner Schreiberei. Er weiß, wenn der Morgen dämmert, wird er mich finden, den Kopf auf die Arme gebettet, auf meinen verstreuten Papieren schlafend, den Wolf zu meinen Füßen ausgestreckt.
    Wir träumen davon, unseren Drachen zu erschaffen.
     
    ENDE - Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
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