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Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen

Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen

Titel: Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
Autoren: Robin Hobb
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seufze und lege die Feder zur Seite. Zu viel habe ich geschrieben. Nicht alle Dinge müssen überliefert werden. Nicht alle Dinge sollten überliefert werden. Ich nehme die Schriftrolle und gehe mit langsamen Schritten zum Kamin. Meine Beine sind verkrampft vom langen Sitzen. Es ist ein kalter, diesiger Tag, und der Nebel, der vom Meer heranzieht, hat jede alte Wunde an meinem Körper gefunden und zum Leben erweckt. Die Stelle im Rücken, wo mich der Pfeil getroffen hat, ist noch immer die schlimmste. Wenn es kalt ist, spüre ich das Ziehen der Narbe im ganzen Körper. Ich werfe das Pergament auf die glosenden Scheite und muß dazu über Nachtauge hinwegsteigen. Seine Schnauze wird langsam grau, und seinen Knochen gefällt das Wetter ebensowenig wie meinen.
    Du wirst fett. Du tust nichts anderes mehr als beim Feuer liegen und deinen Wanst zu pflegen. Warum gehst du nicht jagen ?
    Er streckt sich und schnauft. Geh und piesacke den Jungen, nicht mich. Und leg Holz aufs Feuer.
    Doch bevor ich ihn rufen kann, kommt mein Famulus herein. Er rümpft die Nase über den Geruch von brennendem Velin und wirft mir einen strafenden Blick zu. »Ihr hättet mir auftragen können, frisches Holz zu bringen. Wißt Ihr, was gutes Velin kostet?«
    Ich antworte nicht, und er seufzt und schüttelt den Kopf über mich. Dann geht er hinaus, um Holz zu holen.
    Er ist ein Mitbringsel von Merle, seit zwei Jahren bei mir, und ich habe mich noch immer nicht an ihn gewöhnt. Bestimmt war ich nie ein Knabe, wie er einer ist. Ich erinnere mich an den Tag, als sie ihn zu mir brachte, und ich muß lächeln. Sie war gekommen, wie sie es zwei-, dreimal im Jahr tut, um mich zu besuchen und wegen meines Einsiedlerdaseins zu schelten. Diesmal aber hatte sie den Jungen dabei. Er blieb draußen auf seinem mageren Pferdchen sitzen, während sie an die Tür klopfte. Als ich öffnete, drehte sie sich um und rief ihm zu: »Steig ab und komm herein. Hier ist es warm.«
    Er war vom nackten Rücken des Ponys gerutscht, blieb daneben stehen und zitterte vor Kälte, während er mich anstarrte. Das schwarze Haar wehte ihm über das Gesicht. Er hielt sich einen alten Umhang Merles vor die Brust.
    »Ich habe dir einen Jungen gebracht«, verkündete Merle und griente.
    Ich erwiderte ungläubig ihren Blick. »Du meinst – er gehört mir?«
    Sie zuckte die Schultern. »Wenn du ihn brauchen kannst. Ich dachte, er könnte dir guttun.« Sie überlegte. »Genaugenommen dachte ich, du könntest ihm Gutes tun. Mit Kleidung und regelmäßigen Mahlzeiten und so weiter. Ich habe für ihn gesorgt, solange ich konnte, aber das Leben einer Vagantin...« Sie ließ den Satz in der Luft hängen.
    »Dann ist er... Hast du, haben wir...« Ich stammelte, suchte nach Worten, leugnete meine Hoffnung. »Er ist dein Sohn? Meiner?«
    Ihr Lächeln wurde breiter, während sie meine Verwirrung genoß, doch in ihre Augen trat ein Ausdruck von Mitgefühl. Sie schüttelte den Kopf. »Meiner? Nein. Deiner? Ich nehme an, es könnte möglich sein. Bist du vor acht Jahren durch Flunderbay gekommen? Da habe ich ihn gefunden. Er aß verfaultes Gemüse aus der Müllgrube des Dorfes. Seine Mutter ist tot, und seine Augen sind verschiedenfarbig, deshalb wollte seine Schwester ihn nicht haben. Sie sagt, er ist ein von einem Dämon gezeugter Bastard.« Sie legte den Kopf schräg und fügte augenzwinkernd hinzu: »Also nehme ich an, er könnte dein Sprößling sein.« Sie drehte sich wieder um und hob die Stimme: »Komm herein, sage ich dir. Es ist warm. Und ein Wolf lebt bei ihm. Nachtauge wird dir gefallen.«
    Er ist ein seltsamer Junge mit einem braunen und einem blauen Auge. Seine Mutter war keine milde Frau gewesen, und die Erinnerungen an seine Kindheit sind nicht die besten. Sie nannte ihn Harm. Vielleicht war er das für sie. Ich rufe ihn meistens ›Junge‹, und es scheint ihn nicht zu stören. Er hat von mir Lesen und Schreiben und Rechnen gelernt und Kräuterkunde. Er war sieben Jahre alt, als Merle ihn mir brachte; nun wird er bald zehn. Er versteht mit einem Bogen umzugehen. Nachtauge ist einverstanden mit ihm, denn er jagt gut für den alten Wolf.
    Bei ihren Besuchen versorgt Merle mich mit den Neuigkeiten aus der großen, weiten Welt. Nicht immer zu meiner Freude. Zuviel hat sich geändert; zuviel kommt mir merkwürdig vor. Prinzessin Philia ist Herrin auf Burg Fierant. Ihre Hanffelder liefern inzwischen ebensoviel Papier wie Seile und Taue. Die Fläche der Parks und Gärten hat sich verdoppelt.
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