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Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen

Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen

Titel: Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen
Autoren: Robin Hobb
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nicht, wer sich die Geschichte ausgedacht hat. Jonqui selbst, wahrscheinlich. Chade hätte ihr ein Lob ausgesprochen. Aber Veritas' Botschaft war das Ende von Augusts Führerschaft in der Kordiale und von allem ›Denken‹, soweit ich weiß. Entweder hatte er nach diesem Tag zu viel Angst, oder seine Gabe war einfach zermalmt worden von Veritas' Zorn. Er verließ den Hof und ging nach Weidenhag, wo Chivalric und Philia einst gelebt hatten. Ich denke, er hatte seine Lektion gelernt.
    Nach ihrer Heirat trauerte Kettricken mit ganz Jhaampe einen Monat lang um ihren Bruder. Von meinem Krankenlager aus hörte ich nur Glockenläuten und Gesänge und roch den Weihrauch, der in großen Mengen verbrannt wurde. Rurisks sämtliche Besitztümer wurden verschenkt. Zu mir kam Eyod selbst und brachte einen schlichten Silberring seines Sohnes sowie die Pfeilspitze, die seine Brust durchbohrt hatte. Er sagte nicht viel dazu, erklärte nur, was es mit den Dingen für eine Bewandtnis hatte, und ich solle die Erinnerungen an einen außergewöhnlichen Menschen in Ehren halten. Mir blieb es überlassen, allein darüber nachzugrübeln, weshalb man diese Gegenstände für mich ausgewählt hatte.
    Am Ende des Monats legte Kettricken ihre Trauer ab. Sie kam, um Burrich und mir eine baldige Genesung zu wünschen und Lebwohl zu sagen, bis wir uns in Bocksburg wiedersahen. Der kurze Augenblick der Verbundenheit mit Veritas hatte all ihre Zweifel ausgelöscht. Sie sprach mit einem ruhigen Stolz von ihrem Gemahl und trat bereitwillig die Reise nach Bocksburg an, da sie nun wußte, daß sie einem ehrenhaften Mann anvermählt war.
    Es war mir nicht beschieden, neben ihr an der Spitze der Karawane heimwärts zu reiten oder unter Jubel und Hörnerschall in Bocksburg einzuziehen. Das war Edels Amt, und er machte gute Miene zum bösen Spiel. Wie es schien, hatte er sich Veritas' Warnung zu Herzen genommen. Ich glaube nicht, daß Veritas seinem jüngeren Bruder je ganz verzeihen konnte, doch er tat Edels Intrigieren als kindische Streiche ab, und das muß ihn wirkungsvoller eingeschüchtert haben als jede öffentliche Rüge. Der Giftanschlag wurde zu guter Letzt Rowd und Sevrens angelastet, von denen, die überhaupt davon wußten. Schließlich hatte Sevrens das Gift besorgt, und Rowd hatte den Wein überbracht. Kettricken gab vor zu glauben, es habe sich um den unangebrachten Ehrgeiz von Dienern gehandelt, die glaubten, ihrem ahnungslosen Herrn einen Gefallen zu tun. Von Rurisks Tod wurde nie offen als Mord gesprochen, und auch mein Geheimnis blieb gewahrt. Was immer in Edels Innerem vorgehen mochte, seine äußere Haltung war die eines jüngeren Prinzen, der mit allem Dekorum seinem Bruder die Braut zuführte.
    Ich brauchte lange, um zu gesunden. Jonqui behandelte mich mit Kräutern, die nach ihrer Behauptung halfen, wiederherzustellen, was zerstört worden war. Ich hätte mich bemühen sollen, mir etwas von ihren Kenntnissen anzueignen, aber mein Verstand war ebensowenig fähig, etwas festzuhalten, wie meine Hände. Genaugenommen erinnere ich mich an kaum etwas aus jener Zeit. Mein Körper brauchte unendlich lange, um die Nachwirkungen des Gifts zu überwinden. Jonqui versuchte, mir die Langeweile erträglicher zu machen, indem sie mir Lesezeit in der Großen Bibliothek verschaffte, aber meine Augen ermüdeten rasch, und die Schriften oder Bilder verschwammen. Die meisten Tage brachte ich in meinem Bett zu und dachte nach. Eine Zeitlang war ich nicht sicher, ob ich überhaupt den Wunsch hatte, nach Bocksburg zurückzukehren. Dort mußte ich unterhalb von Edel am Tisch sitzen und zum Kopf der Tafel schauen, wo er sich zur Linken meines Königs spreizte. Ich würde ihm begegnen müssen, als hätte er nie versucht, mich zu töten, oder mich benutzt, um einen Mann zu ermorden, den ich bewunderte. Eines Abends vertraute ich mich Burrich an. Er saß da und hörte schweigend zu. Dann sagte er: »Ich kann mir nicht vorstellen, daß es für Kettricken leichter ist als für dich. Und auch mir wird es schwer werden, dem Mann in die Augen zu sehen, der zweimal versucht hat, mich zu töten, und ihn ›Mein Prinz‹ zu nennen. Die Entscheidung liegt bei dir. Mir wäre der Gedanke zuwider, daß er glaubt, es wäre ihm gelungen, uns Angst einzujagen. Aber wenn du beschließt, daß wir woanders hingehen, dann tun wir es.« Ich glaube, da verstand ich endlich, welche Bedeutung der Ohrring hatte.
    Der Winter war nicht länger eine Drohung, sondern Wirklichkeit, als wir
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