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Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen

Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen

Titel: Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen
Autoren: Robin Hobb
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Jugend und blasse Schönheit neben Veritas' gelassener Stärke. Listenreich veranstaltete Bälle, die jeden kleinen Landedelmann aus den hintersten Winkeln der Herzogtümer anlockten, und Kettricken sprach mit eindringlicher Beredsamkeit davon, daß man gemeinsam alle Anstrengungen unternehmen müsse, die Roten Korsaren ein für allemal zu vertreiben. Die Staatskasse füllte sich, und trotz der Winterstürme begann man allenthalben mit der Befestigung der Sechs Provinzen. Mehr Türme wurden gebaut, und man drängte sich danach, sie zu bemannen. Schiffsbauer wetteiferten um die Ehre, auf den Werften mitzuarbeiten, wo Veritas' Flotte Gestalt annahm, und Freiwillige strömten nach Burgstadt, um als Matrosen anzuheuern. Während der kurzen Wintermonate glaubten die Menschen an die Sagen, die sie erschufen, und es herrschte eine Stimmung im Land, als wäre es möglich, die Roten Korsaren allein durch Willenskraft zu besiegen. Ich mißtraute dieser Atmosphäre, schaute zu, wie Listenreich sie schürte, und fragte mich, was er tun wollte, wenn mit Frühlingsanfang die feindlichen Schiffe wieder vor unseren Küsten auftauchten.
    Von noch einem Freund muß ich berichten, der nur durch seine Treue zu mir in diese Intrige hineingezogen wurde. Bis zum Ende meiner Tage werde ich die Narben der Wunden tragen, die er mir zufügte, als er seine Zähne in meine Hand schlug, um mich aus dem Becken zu ziehen, in dem ich fast ertrunken wäre. Sein Kopf ruhte noch auf meiner Brust, als man uns fand, doch sein Lebensfunke war erloschen. Nosy war tot. Ich glaube, er hat sein Leben freiwillig hingegeben, im Gedenken an unsere Freundschaft, als wir jung waren. Menschen können nicht trauern wie Hunde. Doch unser Kummer begleitet uns viele Jahre hindurch.

Epilog
     
    »Ihr seid müde«, sagt mein Page. Er steht neben mir, und ich weiß nicht, wie lange schon. Behutsam löst er mir die Feder aus den kraftlosen Fingern. Ich betrachte müde die geschlängelte Linie, die sie auf dem Blatt hinterlassen hat. Wo habe ich das schon gesehen, überlege ich, und es war nicht Tinte. Ein Blutrinnsal auf den Decksplanken eines Roten Schiffes, und meine Hand hat es vergessen? Oder war es Rauch, der sich schwarz in den blauen Himmel kräuselte, als ich von einem Hügel aus sehen mußte, daß es zu spät war, die Dorfbewohner vor dem Überfall der Korsaren zu warnen? Oder Gift, das in einem Glas Wasser zu gelblichen Schleiern zerfloß; Gift, das ich jemandem reichte und dabei lächelte? Ein lockiges Frauenhaar, auf meinem Kissen zurückgeblieben? Oder die Furchen, die die Fersen eines Mannes durch den Sand zogen, als wir die Toten aus dem schwelenden Turm in der Seehundbucht schleppten? Die Spur einer Träne auf der Wange einer Mutter, als sie ihr entfremdetes Kind an die Brust drückte, obwohl es sich zornig gegen sie sträubte? Gleich den Roten Korsaren kommen die Erinnerungen ohne Vorwarnung, ohne Erbarmen.
    »Ihr solltet ruhen«, sagt der Page wieder, und ich merke, daß ich an meinem Schreibtisch sitze und auf einen schwächlichen Federstrich starre. Es ergibt keinen Sinn. Nur ein weiterer kostbarer Bogen Papier verdorben, eine weitere Mühe vergebens.
    Ich nicke dem Pagen zu und erhebe keine Einwände, als er die Blätter einsammelt und zu einem unordentlichen Stapel aufschichtet. Pflanzenkunde und Geschichte, Karten und Gedankensplitter, alle ein Durcheinander in seinen Händen wie in meinem Kopf.
    Ich kann mich nicht mehr erinnern, was ich mir vorgenommen hatte zu tun. Der Schmerz ist wieder da, und es wäre so einfach, ihn zu stillen. Aber diese Verlockung ist Wahnsinn, wie schon so viele vor mir erfahren mußten. Also schicke ich statt dessen den Pagen, mir zwei Blätter Carryme zu holen, und Ingwerwurzel und Pfefferminz für Tee. Ich frage mich, ob ich ihm eines Tages auftragen werde, drei Blätter von diesem Kraut der Chyurda zu bringen.
    Von irgendwoher sagt die Stimme eines Freundes: »Nein.«
     
    ENDE DES ERSTEN TEILS
     
    Band zwei der Legende vom Weitseher trägt den Titel: ›Des Königs Meuchelmörder‹
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