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Die Legende der Wächter – Der Zauber

Die Legende der Wächter – Der Zauber

Titel: Die Legende der Wächter – Der Zauber
Autoren: Kathryn Lasky
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Gylfie flog hinter Morgengraus Steuerbordflügel. Als Navigatorin war das ihre Lieblingsposition, denn so konnte sie sich den Schub des Bartkauzes zunutze machen und sich ganz auf die Sterne konzentrieren statt aufs Fliegen. Digger bildete die Nachhut.
    „Zwei Grad Süd-Südost vom untersten Stern im Steuerbordzeh der Goldenen Krallen“, meldete Gylfie jetzt.
    Sorens Magen jubilierte. Wie lange war es her, seit er und Gylfie als Jungvögel das Navigieren von Strix Struma gelernt hatten? Die ehrwürdige Navigations-Ryb hatte ihre Schüler mit Vorliebe das Sternbild der Goldenen Krallen abfliegen lassen, das im Winter am allerhellsten schien. Ach, war das lange her … Und jetzt führte Gylfie selbst die Navigationsbrigade an und galt als eine der begabtesten Navigatorinnen der Eulenwelt.
    Dabei waren Soren und Gylfie für Eulenbegriffe noch nicht alt. Älter als damals natürlich schon, aber immer noch gesund und ausdauernd. Soren war stolz,daran mitwirken zu dürfen, dass auch andere Eulenvölker den neuen König kennenlernten. Und nicht nur das – sie würden die anderen Eulen auch an ihrem Wissen teilhaben lassen. Soren war ganz Coryns Meinung: Wissen bedeutete Freiheit. Wer seinen Verstand benutzte, konnte von niemandem unterdrückt und versklavt werden.
    Mit ihrer Reise würden sie auch dazu beitragen, den Gerüchten über die sagenhaften Kräfte der Glut ein Ende zu bereiten. Die Eulen sollten sich wieder auf ihre eigenen Stärken besinnen. Die Fertigkeiten, die im Großen Baum gelehrt wurden, konnten ihnen dabei nützlich sein: Glutsammeln, Navigieren und Wetterkunde. Soren hatte sich einen Sammelbegriff dafür ausgedacht, der nichts mit Magie zu tun hatte. Er lautete: „Die Freuden der Vernunft“.
    Eine Möwe kam angeflogen. „Heda, Morgengrau!“
    „Hallo, Sammy!“, rief der Bartkauz erfreut. „Lange nicht gesehen.“
    „Ich weiß ’nen tollen neuen Schleimpupserwitz!“
    „Oje – soll ich die Ohrschlitze zumachen?“, fragte Gylfie.
    „Unbedingt“, gab Morgengrau zurück. „Du bist ja bekanntlich so was von zart besaitet! Wer hat denn damals in Silberschleier dem eingebildeten Fischreiher einen Schleimpupserwitz erzählt und dafür beinaheeinen Fisch an den Kopf gekriegt, hm?“ Morgengrau wandte sich wieder der Möwe zu. „Schieß los, Sammy.“
    „Was ist der Unterschied zwischen einem Schleimpupser und einem Gewöllespucker?“
    Die fünf Eulen wechselten fragende Blicke.
    „Ich geb’s auf“, sagte Morgengrau schließlich. „Keine Ahnung.“
    Die Möwe prustete los. „Bei dem einen macht’s Plopp , beim anderen Flupp !“, brachte sie erstickt heraus. Dann bekam sie einen Lachkrampf, trudelte aus der warmen Luftströmung in ein kaltes Loch und war verschwunden.
    „Ein Glück, dass wir die Pointe noch mitgekriegt haben“, sagte Gylfie.
    Alle fünf Eulen lachten schallend. Ein Glück, dass Otulissa nicht dabei ist , dachte Soren. Die Fleckenkäuzin verabscheute derlei „Ausscheidungs-Witze“, wie sie es nannte. Sie regte sich jedes Mal auf, wenn sie auf einem Wetterkundeflug irgendwelche Möwen trafen. Möwen waren für ihren derben Humor berüchtigt. Aber ein derber Schleimpupserwitz war genau das, was Coryn jetzt guttat. Er brauchte dringend Abstand von allem: vom Großen Baum, von dem Gezänk im Parlament und – ja, auch von der Glut. In Gesellschaft der Bande konnte er sich mal entspannen. Er konnte in ihren lockeren, freundschaftlichen Umgangston einstimmen und die quälenden Befürchtungen vergessen, die ihm zu schaffen machten. Wenn wir die Legenden in Ezylrybs Geheimkammer nie gelesen hätten , hatte Soren erst kürzlich überlegt, würde sich Coryn dann auch die ganze Zeit mit seiner Vergangenheit beschäftigen?
    Noch spannender fand Soren die Frage, ob Coryn unter der Herrschaft seiner Mutter Nyra eigentlich auch nur einen einzigen unbeschwerten Tag erlebt hatte. Hatte er als Jungvogel überhaupt Freunde gehabt? Einmal hatte er einen gewissen Philipp erwähnt, einen jungen Rußeulerich. Aber Coryn hatte nicht über Philipp sprechen wollen. Schon die Erwähnung seines Namens machte ihn todtraurig.
    Die Reinen verachteten jede Eule, die keine Tyto alba war. Rußeulen waren zwar eine Unterart der Schleiereulen, standen in der Hackordnung der Reinen aber trotzdem ganz unten. Gewiss hatte dieser Philipp kein leichtes Leben gehabt.
    Auch Soren hatte kein leichtes Leben gehabt. Er war schon als Küken entführt und von seinen Eltern getrennt worden. Und er hätte diesen
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