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Die Legende der Wächter 1: Die Entführung

Die Legende der Wächter 1: Die Entführung

Titel: Die Legende der Wächter 1: Die Entführung
Autoren: Kathryn Lasky
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unterdrückte ein Würgen.
    „Sag nichts!“, raunte ihm die kleine Eule mit Piepsstimme zu. „Warte.“
    Worauf soll ich warten?, dachte Soren. Da spürte er den kühlen Luftzug zahlreicher Schwingenschläge. Immer mehr Eulen landeten um sie herum und jede trug ein Eulenküken in den Fängen. Dann stimmte Sorens Entführer einen leisen Singsang an und die anderen Eulen fielen ein. Bald war die Luft von seltsamen Klängen erfüllt.
    „Das ist ihre Hymne“, raunte die winzig kleine Eule Soren zu. „Gleich singen sie lauter, dann können wir miteinander reden.“
    Soren lauschte den Worten der Hymne.
    Wir grüßen dich, Sankt Ägolius,
Unsere Alma Mater!
Wir stimmen an unsren Lobgesang,
Treu sind wir dir ein Leben lang,
Woll’n dich ewig preisen.

Deine goldnen Krallen rühmen wir.
Wollen ihnen folgen.
Du leitest uns ein Leben lang,
Drum verstumme nie unser Lobgesang,
Mit dem wir dir Ehre erweisen.
    Der Gesang erscholl weit in die Nacht hinaus und die kleine Eule wandte sich Soren zu. „Mein erster Rat lautet: Halt lieber den Schnabel und hör zu. Du giltst hier schon als Wildling.“
    „Was für eine Eule bist du? Warum hast du gelbe Augen? Wie heißt du?“
    „Da haben wir’s schon! Zerbrich dir darüber jetzt nicht den Kopf.“ Die kleine Eule seufzte leise. „Ich sag’s dir aber trotzdem. Ich bin eine Elfenkäuzin und heiße Gylfie.“
    „Eine Eule wie du ist mir in Tyto nie begegnet.“
    „Ich komme aus dem Wüstenkönigreich Kuneer.“
    „Wächst du noch?“
    „Nein, ich bleibe so.“
    „Aber du bist winzig und trotzdem hast du schon alle Feder n – fast alle, jedenfalls.“
    „Das ist ja das Schlimme. Nächste Woche wäre ich flügge geworden, aber da wurde ich entführt.“
    „Ja, wie alt bist du denn?“
    „Zwanzig Nächte.“
    „Zwanzig Nächte!“, rief Soren ungläubig aus. „Und da wirst du schon flügge?“
    „Wir Elfenkäuze werden mit siebenundzwanzig bis dreißig Nächten flügge.“
    „Sind sechsundsechzig Nächte viel?“, fragte Soren.
    „Ziemlich viel.“
    „Ich bin eine Schleiereule, und da wird man erst mit sechsundsechzig Nächten flügge. Aber wie kam es, dass du entführt wurdest?“
    Das Elfenkauzmädchen antwortete erst nach langem Zögern und auch dann nur widerstrebend: „Was schärfen einem die Eltern immer und immer wieder ein?“
    „Dass man nicht fliegen soll, bevor man so weit ist?“
    Gylfie nickte. „Ich hab’s trotzdem versucht und bin runtergefallen.“
    „Du hast aber doch gesagt, dass du nächste Woche sowieso flügge geworden wärst.“ Soren wusste zwar nicht genau, wie viele Nächte eine Woche hatte oder wie lange siebenundzwanzig Nächte dauerten, aber es klang schon mal weniger als sechsundsechzig.
    „Ich war zu ungeduldig. Mir sind zwar Federn gewachsen, aber meine Geduld ist nicht mitgewachsen.“ Gylfie machte eine Pause. „Und du? Du hast doch bestimmt auch versucht zu fliegen.“
    „Nein. Ich weiß auch nicht, wie das kam, aber ich bin einfach so aus dem Nest gefallen.“ Kaum sprach Soren es aus, verspürte er ein sonderbar flaues Gefühl im Magen. Wusste er nicht doch, wie es passiert war? Er hatte eine unbestimmte Ahnung. Furcht und Scham stiegen in ihm auf. Ihm wurde übel.

Das Sankt-Ägolius-Internat für verwaiste Eulen

    Die Eulen schraubten sich in steilen Schleifen in den Landeflug. Soren spähte blinzelnd nach unten. Er erkannte weder Baum noch Fluss noch Wiese, stattdessen ragte unter ihnen ein zerklüftetes Gebirge auf. Das kann nicht Tyto sein, war Sorens einziger Gedanke.
    Abwärts, abwärts, abwärts flogen sie in immer engeren Kreisen, bis sie schließlich auf dem felsigen Boden einer tiefen, engen Schlucht landeten. Obwohl Soren über sich noch den Himmel sehen konnte, aus dem sie gekommen waren, schien er hier unten doch unerreichbar fern. Dafür hörte man den Wind durch die schroffen Gipfel der unwirtlichen Felslandschaft pfeifen. Und nun übertönte eine laute, barsche Stimme das Geheul des Windes.
    „Willkommen, Eulenkinder! Willkommen in Sankt Ägolius, eurem neuen Zuhause. Hier werdet ihr sowohl die Wahrheit als auch eure eigentliche Bestimmung erfahren. Unser Motto lautet nämlich: ‚Die Wahrheit finde n – die Bestimmung ergründen‘.“
    Eine unglaublich große, struppige Uhudame musterte die Neuankömmlinge mit rötlich gelbem Blick. Über ihren Augen ragten dicke Federbüschel auf, im Gefieder ihres linken Flügels lag ein Stück Haut mit einer hässlichen, weiß gezackten Narbe frei. Die Uhudame
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