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Die Legende der Wächter 1: Die Entführung

Die Legende der Wächter 1: Die Entführung

Titel: Die Legende der Wächter 1: Die Entführung
Autoren: Kathryn Lasky
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thronte auf einem Felsvorsprung und fuhr fort: „Ich bin Skench, Ablah-Generalin von Sankt Ägolius. Meine Aufgabe ist es, euch die Wahrheit zu lehren. Fragen sind bei uns nicht erwünscht, denn sie lenken bekanntlich oftmals von der Wahrheit ab.“
    Das wollte Soren nicht einleuchten. Seit er geschlüpft war, hatte er unablässig Fragen gestellt und auf diese Weise viel erfahren.
    Doch Skenchs Ansprache war noch längst nicht zu Ende. „Ihr seid nun Waisen.“ Soren war empört. Er war keine Waise! Er hatte Mama und Papa. Seine Eltern waren bloß woanders. Wenn man eine Waise war, waren die Eltern gestorben. Wie kam diese Skench, diese Ablah-blabla oder wie sie sich nannte, dazu, ihn als Waise zu bezeichnen?
    „Wir haben euch gerettet. Hier in unserer Lehranstalt können wir euch eine Ausbildung bieten, die euch eines Tages zu bescheidenen Dienern einer noblen Sache machen wird.“
    Das war ja wohl die Höhe! Niemand hatte ihn gerettet, man hatte ihn entführt! Hätte ihn die fremde Eule retten wollen, hätte sie ihn wieder in sein Nest getragen. Und was, bitte schön, war mit der ‚noblen Sache‘ gemeint?
    „Der noblen Sache kann man auf vielerlei Art dienen. Unsere Aufgabe ist es herauszufinden, welche Art einem jeden von euch am ehesten entspricht. Das erreichen wir, indem wir eure besonderen Begabungen feststellen.“ Skenchs Augen verengten sich, bis sie nur noch gelbliche Schlitze in ihrem gefiederten Gesicht waren. „Ich bin sicher, dass jeder Einzelne von euch auf seine Weise etwas Besonderes hat.“
    Kaum hatte sie ihre Ansprache beendet, riefen die versammelten Eulen im Chor:
    Ein jeder hat seine Besonderheit!
Mit Gehorsam und Ergebenheit
Kann man sie erkennen,
Kann man sie benennen.
Dank sei Sankt Äggies Großherzigkeit!
    Das Lied verklang und die Generalin Skench segelte von ihrem Felsvorsprung herab. Abermals musterte sie die eingeschüchterten Jungvögel mit durchbohrendem Blick.
    „Euch steht ein spannendes Abenteuer bevor, kleine Waisen. Wenn ich euch gleich entlasse, werdet ihr auf unsere vier Glaucidien verteilt, wo zweierlei geschehen wird: Erstens verleihen wir euch eine Kennnummer. Zweitens nehmt ihr an eurer ersten Unterrichtsstunde zum Thema: ‚Wie schlafe ich richtig?‘ teil. Ihr werdet den sogenannten Schlafmarsch kennenlernen. Das sind nämlich die beiden ersten Voraussetzungen für eure Besonderheitsfeier.“
    Wovon redet diese Eule eigentlich?, dachte Soren verwirrt. Was war eine Kennnummer? Was waren Glaucidien und seit wann mussten Eulenkinder lernen, wie man richtig schläft? Und dieser komische Marsch? Was in aller Welt sollte das denn sein? Es war doch noch Nacht. Welche Eule schlief bitte schön nachts?
    Doch ehe er lange grübeln konnte, schob ihn jemand mit sanfter Gewalt in eine Reihe, allerdings nicht in die Reihe, in der sich die Elfenkäuzin Gylfie aufgestellt hatte. Soren musste den Kopf einmal fast ganz herumdrehen, bis er sie erspähte. Daraufhin winkte er ihr mit dem Stummelflügel, aber Gylfie sah ihn nicht. Sie marschierte schon los, den Blick stur geradeaus gerichtet.
    Sorens Reihe schlängelte sich durch schroffe Felsspalten. Das Sankt-Ägolius-Internat für verwaiste Eulen schien aus einem verwirrenden Netz von Gängen und Schluchten zu bestehen. Soren dachte beklommen, dass er die kleine Elfenkäuzin womöglich nie wiedersehen würde, ja, schlimmer noch, dass er wohl nie mehr aus diesen Felsgängen herausfinden und in den heimischen Tyto-Wald mit seinen hohen Bäumen und funkelnden Bächen zurückkehren würde.
    In einem runden Felsbecken machte der Zug der Eulenkinder Halt. Eine weiße Eule mit ungewöhnlich plustrigem Gefieder watschelte ihnen entgegen. Ihre blinzelnden Augen schimmerten mattgelb.
    „Ich bin eure Gruppenbetreuerin Finny“, stellte sie sich vor und fügte leise kichernd hinzu: „Manche nennen mich auch ihren Schutzengel.“ Sie betrachtete die Ankömmlinge freundlich und setzte hinzu: „Am liebsten wär’s mir, ihr nennt mich einfach ‚Tante‘.“
    Tante?, dachte Soren verwundert. Warum sollte ich diese fremde Eulenfrau ‚Tante‘ nennen? Aber ihm fiel gerade noch rechtzeitig ein, dass man ja keine Fragen stellen durfte.
    „Ich meinerseits muss euch natürlich mit euren Nummern anreden, die ihr gleich im Rahmen einer kleinen Feier erfahren werdet.“
    „Au fein!“ Ein Fleckenkauzmädchen neben Soren trippelte aufgeregt von einem Fuß auf den anderen.
    Diesmal vergaß Soren, dass Fragen nicht erwünscht waren. „Warum willst du
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