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Die Lava

Die Lava

Titel: Die Lava
Autoren: Ulrich Magin
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wider das andere ein Schwert aufheben, und die Völker werden das Kriegshandwerk nicht mehr lernen . Er hatte versagt, es war ihm nicht gelungen, diesen himmlischen Frieden auf der Erde herbeizuführen.
    MacGinnis sah aus dem Fenster, vorbei an den Wänden, die selbst häufiges Übertünchen nicht von Graffitti reinigen konnten. Sein Blick fiel aus dem Fenster auf einen winzig kleinen Fleck blauen Himmel, und er fühlte – nichts.
    Es gab nichts zu bedauern: Was er tun wollte, war richtig gewesen. Es gab nichts zu bereuen – wenn es nicht funktioniert hatte, dann sollte es eben nicht funktionieren. Hatte er unmoralisch gehandelt, als er die Welt mit einer Pest überziehen wollte? Die Welt war die Pest.
    Er lebte noch. Wäre er erfolgreich gewesen, könnte er jetzt nicht mehr in den Himmel sehen. Welchen Unterschied hätte das aber gemacht? Er spürte ja nichts mehr in sich, keine Enttäuschung, kein Bedauern, kein Erbarmen. Sollten sie ihn verurteilen. Er hatte sich selbst verurteilt, als er diesen Plan fasste. Er fand nichts Unrechtes darin, ihn nun ins Gefängnis zu stecken. Er war nur ein Stück Fleisch, ein Lamm wie die Lämmer, die in der Gruinard Bay an Pflöcke angebunden worden waren, um auf die Mikroben zu warten. Nun wartete er.
    Reginald MacGinnis streckte müde die Glieder aus.
    Ein gewaltiger Lichtblitz flackerte grell im Fenster auf.
    Er lächelte, wusste selbst keine Antwort darauf, warum.
    Da war dieses Stechen in seiner Seite – ein kurzer, heftiger, sehr schmerzvoller Stich, als habe man ihm ein langes Messer in den Leib gerammt. Das erstaunte ihn. Er fühlte also doch noch etwas.
    Das Atmen fiel ihm schwer. Er bemerkte – nüchtern, fast wie ein klinischer Beobachter, denn er stand nun neben sich und betrachtete sich selbst aus einer sicheren Distanz –, wie sich Schweißperlen auf seiner Stirn bildeten, bis sie zu groß waren, um noch an der Haut zu haften, und herabtropften. Er stellte voll Verwunderung fest, dass er sich an die Seite griff, an das Herz, eine rührende, schützende Geste, die er von sich selbst am wenigsten erwartet hätte.
    Er sah zu, wie er in sich zusammensank. Er sah zu, wie sich sein Gesicht weiß färbte und ganz blass wurde.
    Er betrachtete einen alten Mann, nicht müde, sondern erschlafft. Eine leere Hülle. Er zog eine Grimasse, ein furchtbares, verächtliches Gesicht. Dann entspannte er sich plötzlich.
    Es war kein zynisches Grinsen, kein überlegenes Lächeln. Er lächelte selig, von aller Last befreit. Ein letztes Mal streckte Reginald MacGinnis mühsam seine Arme aus, weit und breit, ein Willkommensgruß für seine Frau, die ihm mit ausgestreckten Armen entgegentrat, die ihm zuwinkte, die ihn holte.
    »Wo warst du so lange, mein Herz?«, fragte sie ihn zärtlich.
    »Hier war ich, meine Sonne, ich war hier und habe auf dich gewartet.«
    Sie brachte ihn endlich nach Hause, an den Ort, an dem beide wieder zusammen sein würden. Für immer.
    In diesem Moment wusste MacGinnis, dass alles richtig gewesen war: sein Versuch und sein Scheitern.
    Die Erde zuckte unter ihm, es war, als atme der Boden hektisch ein und aus. Joe riss das Handy aus der Tasche undhämmerte hektisch die Nummer des Lastwagenfahrers in die Tasten.
    Kein Anschluss. Der Fahrer meldete sich einfach nicht. Das Netz war abgestürzt. Eine automatische Stimme informierte ihn ungerührt über diese Tatsache.
    Verdammt! War der Wagen explodiert?
    Die Bergwände sprangen in grellem Licht auf, standen flackernd da und verschwanden dann wieder in der polternden Finsternis. Hagelkörner prasselten herab, trommelten dröhnend auf die Autodächer, fielen zu Boden und prallten dort ab. Instinktiv hielt sich Joe die Hände schützend über den Kopf.
    »Duck dich, Joe!«, schrie Franziska ihm zu.
    Der Hagel fühlte sich heiß an, nicht kalt. Er schmerzte.
    Joe presste, noch auf den Boden gekauert, den Wahlwiederholungs-Button. Dieses Mal hatte er ein Netz, aber der Fahrer ging nicht ran.
    Das Handy existierte noch. Also war der Laster nicht explodiert.
    Eine neue Explosion aus kochend heißen Wassertropfen regnete auf Joe herab, dann prasselten erneut Hagelkörner hernieder.
    »I am okay«, antwortete endlich der Fahrer im Handy, eine Stimme aus einer anderen Welt. »Ich bin auf dem Weg nach Koblenz. Aber was ist bei euch los? In meinem Rückspiegel ist alles schwarz, es blitzt. Da geht die Erde unter.«
    Joe schob die Hagelkörner beiseite. Vorsichtig, die Hände immer noch schützend über die Augen haltend,
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