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Die Laute (German Edition)

Die Laute (German Edition)

Titel: Die Laute (German Edition)
Autoren: Michael Roes
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Augen lächeln.
    Erneut berührt Bilal die Saiten, und diesmal klingen sie. Doch anders als die Hochzeitsklänge zuvor. Diese Töne, so empfindet es Asis, hören sich an wie noch niemals zuvor gespielt, wie in diesem Augenblick geboren. Und zugleich wirken sie so unerreichbar fern, als gehörten sie einer unwiderruflich verlorenen Vergangenheit an.
    Asis weiß im Grunde nicht viel mehr über diesen ’Ud-Spieler, als Hamid ihm erzählt hat. Doch schon mit diesen ersten Tönen, die nichts mehr mit der Heiterkeit von Festmusik zu tun haben, öffnet sich die Tür zur Vergangenheit einen Spalt weit, und die Musik erzählt von glücklichen und schmerzhaften Augenblicken, für die es keine Worte gibt.
    Je länger Bilal spielt, umso zerrissener und widersprüchlicher wird sein Spiel. Asis kann nicht sagen, ob es heitere Szenen sind, die in Katastrophen enden, oder Unglücksfälle, über die Bilals Musik hinwegzutrösten versucht. Hört denn niemand sonst die Verzweiflung, die aus der scheinbaren Leichtigkeit von Bilals Improvisation herausklingt?
    Schließlich hält Asis es nicht mehr aus. Er zupft zwei, drei leise Töne in einer der langen, zum Zerreißen gespannten Pausen, die Bilal im Gespinst seiner Erzählung lässt, zwei, drei Töne, die nicht wirken, als falle ein junger ungeduldiger Schüler dem Meister ins Wort, sondern als berühre eine Hand die andere
    Was hast du gesagt?, fragt Bilals Laute. Sag es noch einmal!
    Und wieder nimmt Asis die losen Fäden der Geschichte auf und spinnt sie in eine hoffnungsvollere Richtung fort.
    Nach und nach verstummen die Männer im Zelt, und auch auf der Gasse wird es still. Selbst im Haus, in dem die Frauen feiern, alle festlich gekleidet, so dass man nicht recht weiß, wer die Braut ist, tritt nach und nach Stille ein, Fenster öffnen sich, nachlässig verschleierte Gesichter blicken hinaus und lauschen.
    An einem der Fenster steht Hamids Schwester Inaja, schöner als die Mondsichel bei sternklarer Nacht. Asis erinnert sich an sie noch als seilspringendes Mädchen, doch seit sie als junge Frau gilt, hat er ihr Gesicht nicht mehr gesehen.
    Versunken in Asis’ und Bilals Spiel bemerkt sie nicht, dass der Junge sie anschaut, ihr Gesicht mit seiner Musik berührt, mit seinen Tönen über ihr mit Perlenschnüren geschmücktes Haar streicht, eine junge Königin Arwa. Sieht es, aber will es nicht bemerken, kennt sie ihn doch als Freund ihres jüngeren Bruders, ein Fußballverrückter, ja ein Kind noch, während sie doch bereits ihrem Cousin Kaizi versprochen ist und nach diesem bald das nächste Hochzeitsfest im Hause al-Khasamis ansteht.
Asis
, auch in diesem Wort schimmern Perlen auf, nun erinnert sie sich an seinen Namen. Offenbar ist er mehr als nur ein staubverkrusteter oder schlammbespritzter Stürmer mit aufgeschürften Knien, er scheint auch ein junger Magier zu sein, mit der seltenen Macht, die Menschen glücklich zu stimmen. Oder zutiefst unglücklich.
    Bilal hat in seinem langen Leben genug Dinge erfahren, um sich nicht mehr von der leichtsinnigen Zuversicht der Jugend mitreißen zu lassen. Unerbittlich erzählt er weiter von trügerischem Glück und unerfüllter Hoffnung. Und mal kraftvoll trotzig, mal engelhaft schwebend flicht Asis seine jugendlichen Träume in Bilals Bitterkeit. Die Zuhörer lauschen gebannt diesem Zwiegespräch zwischen dem alten Meister und dem Jungen, den sie bisher nur als den Sohn des Flickschusters Ali Asadi kannten. Und dieser Spuk würde wohl die ganze Nacht fortdauern, würde Nassar, der Bräutigam, Bilal jetzt nicht in den Arm fallen und ihn, gröber als nötig, auffordern, zu den altbekannten Weisen zurückzukehren.

7
    »Was bedeutet ’Ud?« – Es ist Bilal, der diese Frage ohne vorangegangenen Gruß an Asis richtet. Er hat das Festzelt vor der vereinbarten Zeit verlassen, aber niemand von den Feiernden scheint es zu kümmern.
    »Ein Stück Holz«, antwortet Asis, mehr erstaunt als ängstlich.
    Bilal schaut den Jungen grimmig an. »Ein Stück Holz? Schafskopf! Hast du in der Schule nicht aufgepasst?«
    »Ich verstehe nicht, was Sie meinen, Meister.«
    »’Ud ist abgeleitet vom Verb
’ada
, zurückkehren, zugehören, zu etwas werden, sich verwandeln. ’Ud heißt also Rückkehr und Verwandlung!«
    »Rückkehr wohin?« – Asis fühlt sich unbehaglich wie in der Schule. Zugleich aber ist dieser Alte anders als alle Lehrer, die er bisher gehabt hat, ernster, unerbittlicher, als gehe es um mehr als nur um die Bedeutung eines Wortes.
    »Das
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