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Die Larve

Die Larve

Titel: Die Larve
Autoren: Jo Nesbø
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der Stelle erschossen werden; dass man uns ausrotten sollte wie Schädlinge, bevor wir Krankheiten und Verfall übertragen und uns wie Ratten vermehren, sobald wir die Chance dazu bekommen. Das haben sie sich selbst zuzuschreiben. Aber wollen tun die ja auch was. Jeder will was. Ich war dreizehn, als ich im Blick meiner Pflegemutter zum ersten Mal sah, was sie wollte.
    »Du bist so schön, Gusto«, sagte sie. Sie war ins Badezimmer gekommen, obwohl ich die Tür nur angelehnt und die Dusche nicht angedreht hatte, damit die Geräusche sie nicht anlockten. Trotzdem stand sie dann gut eine Sekunde zu lange da, bevor sie endlich wieder nach draußen ging. Und ich lachte, denn jetzt hatte ich es kapiert. Das ist wirklich mein Talent, Papa; ich kann den Leuten ansehen, was sie wollen. Habe ich das von dir? Warst du auch so? Nachdem sie draußen war, habe ich mich selbst im Badezimmerspiegel angeschaut. Sie war nicht die Erste, die sagte, ich sei schön. Ich war einfach früher dran als die anderen Jungs, reifer. Groß und schlank, mit breiten Schultern und kräftigen Muskeln. Meine schwarzen Haare glänzten so, als würde alles Licht einfach reflektiert. Hohe Wangenknochen, ein breites, gerades Kinn und ein großer, gieriger Mund mit vollen, fast weiblichen Lippen. Braune, glatte Haut und dunkle, fast schwarze Augen. »Wanderratte« hatte mich einer der Jungen aus der Klasse einmal genannt. Ich glaube, Didrik war das. So ein Typ, der auf jeden Fall Konzertpianist werden wollte. Ich war gerade fünfzehn geworden, und er grölte laut durch die Klasse: »Ach, unsere Wanderratte kann ja nicht mal richtig lesen.«
    Ich habe gelacht, denn ich wusste nur zu gut, warum er das machte. Und was er wollte. Schließlich war Kamilla, in die er heimlich verliebt war, nicht gerade heimlich in mich verliebt. Auf einer Klassenfete war ich mit meinen Händen mal unter ihrem Pullover auf Entdeckungsreise gegangen. Aber da war nicht viel zu entdecken gewesen, was ich dann auch einigen Mitschülern gesteckt habe. Vermutlich hat das irgendwie Didrik erfahren, weshalb er mich jetzt mobben wollte. Es war mir nicht so wichtig, dazuzugehören, aber Mobben ist Mobben, weshalb ich dann zu Tutu vom MC-Club gegangen bin, für den ich schon damals in der Schule ein bisschen Hasch gedealt habe. Ich habe ihm gesagt, dass ich Respekt bräuchte, wenn ich meinen Job ordentlich machen wollte. Tutu versprach mir, sich um alles zu kümmern. Didrik hat später ein Riesengeheimnis darum gemacht, wie er es geschafft hat, gleich zwei Finger unter das obere Scharnier der Klotür auf dem Jungenklo zu schieben, aber Wanderratte hat er mich danach nie wieder genannt. Und – richtig – Konzertpianist wurde er auch nicht. Scheiße, Mann, tut das weh! Nein, Papa, ich brauche keinen verdammten Trost. Ich brauche einen Schuss. Nur einen letzten Schuss, dann verlasse ich diese Welt auch still und ruhig. Glaub mir. Da, die Uhr hat schon wieder geschlagen. Papa?
    Kapitel 2
    E s war schon fast Mitternacht auf dem Osloer Flughafen Gardermoen, als die SK -459 aus Bangkok auf den ihr zugewiesenen Platz am Gate 46 rollte. Pilot Tord Schultz bremste, und der Airbus 340 kam zum Stehen, dann schaltete er die Benzinzufuhr ab. Das metallische Heulen der Jetmotoren sank in der Frequenz und wurde zu einem gutmütigen Brummen, bis es vollends verstummte. Tord Schultz merkte sich automatisch den Zeitpunkt, drei Minuten und vierzig Sekunden nach dem touch-down , zwölf Minuten vor der im Flugplan angegebenen Zeit. Gemeinsam mit seinem Copiloten ging er erst die shutdown-checklist und dann die parking-checklist durch, da das Flugzeug über Nacht an diesem Ort verbleiben sollte. Inklusive all der Sachen, die darin waren. Er blätterte das Logbuch durch. September 20.. In Bangkok war noch immer Regenzeit. Es war wie immer dampfend heiß gewesen, so dass er voller Sehnsucht an die ersten kühlen Herbstabende zu Hause gedacht hatte. Oslo im September. In dieser Jahreszeit gab es keinen besseren Ort auf der Welt, dachte er und vergaß für einen Moment, dass sie das Haus übernommen hatte und er gar nicht mehr in Oslo wohnte, sondern außerhalb. Dann notierte er den Benzinstand für die Treibstoffabrechnung. Es war vorgekommen, dass er sich für den hatte rechtfertigen müssen. Wenn er auf Flügen nach Amsterdam oder Madrid schneller als ökonomisch sinnvoll geflogen war und so Tausende von Kronen für Sprit verbraten hatte, nur um rechtzeitig zu sein. Einmal hatte ihn sich sogar sein Chef zur
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