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Die Lanze des Herrn

Die Lanze des Herrn

Titel: Die Lanze des Herrn
Autoren: Arnaud Delalande
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Vatikan die ganze Episode totschwieg, bestärkte ihn in seiner Überzeugung, dass er vielleicht doch nicht auf ganzer Linie gescheitert war. Er hatte zwar keine Zeit gehabt, dafür zu sorgen, dass die Leihmutter und das Kind in Sicherheit gebracht wurden, aber vermutlich waren beide wohlauf und lebten irgendwo vor der Öffentlichkeit verborgen.
    Das Kind lebt, und es gehört mir!, dachte er.
    Natürlich war es dem Geheimdienst des Vatikans nicht gelungen, ihn ausfindig zu machen. Einen Augenblick lang allerdings hatte er das Schlimmste befürchtet. Man spielte nicht ungestraft mit dem Feuer. So schwankte er immer mal wieder zwischen Momenten kalter Wut und Momenten, wo er Spaß am Kitzel eines Spiels hatte, das doch noch nicht endgültig verloren zu sein schien. Der Gedanke an seine Rache löste bei ihm einen inneren Jubel aus, der ihn beflügelte.
    Seine Gegner waren geschickter gewesen, als er gedacht hatte. Sie hatten sich auch nicht auf seinen Erpressungsversuch eingelassen. Sie hatten die Lanze an sich gebracht und auch die wenigen Blutproben sichergestellt. Vielleicht hatte er sich überschätzt und deshalb einen Fehler gemacht. Er hätte schneller handeln müssen. Aber man konnte die Dinge jetzt nicht ungeschehen machen. So rasch würde sich eine solche Gelegenheit allerdings nicht mehr bieten. Genau genommen wahrscheinlich gar nicht mehr. Aber für einen winzigen Moment hatte das Schicksal der Zivilisation in seinen Händen gelegen… das war keine so schlechte Leistung. Und es bestand immerhin die Aussicht, eines Tages das Ergebnis seines größten Coups zu finden.
    Vielleicht war es ihm ja doch gelungen, das Schicksal der Menschheit aus dem Gleichgewicht zu bringen, nur dass es noch niemand wusste.
    Er würde die ganze Welt auf den Kopf stellen, um das Kind an sich zu bringen. Der wahre Vater des Kindes war schließlich er. Er war Gott Vater. Man hatte ihm seinen Sohn gestohlen, so einfach war das. Auch er war in gewisser Weise gläubig. Da brauchte er sich nichts vorzumachen. Schon heute waren die Türme von WerkersMedias höher als die des Vatikans, sagte er sich mit einem flüchtigen Gedanken an seinen eigenen Vater und einem herausfordernden Blick auf die Bucht von Santorini. Die Macht des Geldes hatte die Macht der Spiritualität abgelöst. Die wahre Macht lag in seinen Händen. Allerdings musste er zugeben, dass er bisher mit seiner Suche nicht weitergekommen war. Das Kind zu finden, und eventuell auch seine Mutter, war alles andere als eine Kleinigkeit. Jetzt hatte sich die Situation genau umgekehrt. Er war derjenige, der einen Beweis brauchte. Aber der Entwurf, den er seinerzeit für seine Zeitungen geschrieben hatte, war noch auf dem Rechner in seinem Büro und konnte jederzeit verwendet werden. Das Ganze war nur aufgeschoben.
    Er würde den Beweis finden, und dann würde das Spiel von Neuem beginnen.
    Er presste die Lippen aufeinander.
    Nein, ich bin nicht besiegt, dachte er.
    Nanotechnologie, künstliche Intelligenz, Genetik und Molekularbiologie – seine Abteilungen würden weiter arbeiten und die Wissenschaft vorantreiben. Und er würde ihre Ergebnisse verwerten, um seine Geschäfte zu machen. Irgendwann würde er die Früchte ernten. Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und trank wieder einen Schluck Ouzo. Die Brasilianerin plauderte noch immer.
    »Hörst du mir überhaupt zu?«, fragte sie und sah ihn mit ihren großen schwarzen Augen an.
    »Ja, ja«, sagte er.
    Sie trocknete ihr Haar mit einem Handtuch, als nun auch ihre Freundin auf die Yacht kletterte.
    »Bis heute Abend?«, fragte sie Ernst Heinrich.
    »Ja«, sagte er, »natürlich. Aber vorher, meine Lieben…«
    Er stellte sein leeres Glas ab. Gleich wäre er in seiner Kabine auf der »Silberpfeil«.
    »Ich muss noch kurz etwas erledigen«, sagte er.
    Es gehört mir, mir, mir ganz allein!
    Die Knöchel seiner Faust wurden weiß, so fest presste er sie zusammen.
    Er drehte an seinem Siegelring und dachte an die vielen Herausforderungen, die noch auf ihn warteten. Dann holte er tief Luft, schloss ein Auge und schoss.
    Dieses Mal…
    »PULL!«

Epilog
    Paris, Île de la Cité, 2007
    Auf dem großen Platz vor der Kathedrale Notre-Dame flog ein Taubenschwarm in die Höhe. Die Glocken läuteten. Nicht weit von hier spiegelten sich die Häuser im Schatten der Trauerweiden am Quai der Île de la Cité im Wasser der Seine. Der Sommertag erstrahlte in morgendlichem Licht. Es war ein schöner Tag, und Judith war gut gelaunt aufgestanden.
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