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Die Lanze des Herrn

Die Lanze des Herrn

Titel: Die Lanze des Herrn
Autoren: Arnaud Delalande
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legte die Hände zusammen.
    »Wir können in dem Kind, das geboren wird, das Ergebnis unserer eigenen Verderbtheit, die Ausgeburt unserer dunklen Seite sehen, unseren Antichrist. Wir können es auch als ein gewöhnliches Versuchskaninchen sehen, als Ergebnis eines Experiments. Als Kopie eines Menschen. Vor nicht allzu langer Zeit hätte man es auf Jahrmärkten gezeigt, als eine Missbildung der Natur, die die Menschen zum Spiegel ihrer eigenen Ängste zu machen pflegten. Wie würde sich Jesus in dieser Situation verhalten? Würde er sagen: Nein, du bist nicht von dieser Welt, du bist die Frucht des menschlichen Wahnsinns, und deshalb hast du kein Recht zu leben? Natürlich nicht. Diese Einstellung hat zu den schlimmsten Gräueln des 20. Jahrhunderts geführt. Wird dieses Kind sein wie andere Kinder? Die Antwort lautet, nein. Das räume ich ein. Es wird ein Klon sein. Ein Klon Jesu, zumindest steht das zu vermuten. Doch hinter dieser Frage verbirgt sich eine andere, die sehr viel einfacher ist. Wird dieses Kind ein Kind sein?«
    Er blickte wieder hinaus auf den See.
    »Können wir sagen, dass ein Klon kein menschliches Wesen ist?«
    In der Ferne schaukelte das weiße Segel eines Boots in der Brise.
    »Für mich lautet die Antwort: Doch, es ist ein Mensch. Sie sprachen von Abraham. Aber denken Sie daran, wie die Geschichte ausging, Eminenz. Gott verhinderte das Opfer. Er wollte den Tod des Kindes nicht. Mit der Befruchtung war unser Schicksal besiegelt. Selbstverständlich sind wir der Meinung, dass der Mensch nicht klonen darf. Und in diesem Punkt werden wir unsere Meinung nicht ändern. Aber nun ist es geschehen. Das lässt sich nicht wegreden. Es ist passiert. Und ich entscheide mich jetzt, wo es um Tod und Leben geht, für das Leben, Eminenz.«
    Niemand sagte ein Wort. Nachdem eine Minute Schweigen geherrscht hatte, antwortete Kardinal Acquaviva:
    »Ich weiß. Aber ich glaube, dass dieses Kind zumindest in der ersten Zeit absolut geheim gehalten werden muss. Wir müssen es der Welt entziehen, seine Geburt geheim halten und auch seine Existenz, bis es begreift, was es ist.«
    »Wer es ist«, verbesserte der Papst ihn. Und nach einigen Sekunden fuhr er fort:
    »In zwei Punkten haben Sie recht, Eminenz. Erstens, das Risiko ist groß, dass die Information durch unsere Mauern dringt und der Welt zum Fraß vorgeworfen wird. Von diesem Tag an wäre das Leben des Kindes die Hölle. Und wir wären in Gefahr. Außer uns wissen nur fünf Menschen von seiner Existenz. Monsignore Almedoes, die beiden Ärzte der Privatklinik, Pater Fombert, der Bibelforscher, und der Mönch Yoris von St. Katharinen. Die Staaten, die an der Operation am Sinai teilgenommen haben, kennen keine Einzelheiten. Die Professoren von Axus Mundi sitzen im Gefängnis. Wir werden ihnen erzählen, dass der Embryo nicht lebensfähig war. Alle müssen schweigen, und wir werden dafür sorgen, dass dies geschieht. Solange die Gegenseite keine Beweise in der Hand hat, ist es einfach für uns, ihre Vertreter als das hinzustellen, was sie sind, nämlich wahnsinnige Hochstapler. Sollte die Information doch nach außen dringen, werden wir alles tun, um sie lächerlich zu machen. Wir brauchen klare Antworten, wenn uns Gefahr droht. Lassen Sie uns Artikel für die Presse vorbereiten. Wir werden den  Osservatore  und unseren Radiosender darauf ansetzen, auf eventuelle Gerüchte richtig zu reagieren. In diesem Punkt müssen wir pragmatisch und unnachgiebig sein. Im Interesse des Kindes und dem der Kirche.«
    Nach einer Pause fuhr er fort:
    »Zweitens: Wir wissen nicht, wie sich das Kind entwickeln wird. Ein Grund mehr, sich selbst darum zu kümmern. Es muss medizinisch beobachtet werden. Es muss sich so normal entwickeln können wie irgend möglich. Und wir müssen ihm nahe sein, was immer geschieht. Auch wenn es besondere… Eigenschaften hat. Vor allem dann.«
    Kardinal Lorenzo hielt es nicht mehr aus. Seit einiger Zeit rutschte er auf seinem Sessel hin und her und schien zu überlegen, ob er das Wort ergreifen sollte.
    »Entschuldigen Sie, Heiliger Vater«, sagte er plötzlich, »aber nun möchte ich doch konkret fragen: Wo soll das Kind denn aufwachsen? Innerhalb unserer Mauern, im Vatikan, im Palast? Hier in Castel Gandolfo? Es gibt genug karitative Einrichtungen, werden Sie sagen. Genug Klöster. Glauben Sie denn, die können ihm Schutz bieten? Täte man ihm damit wirklich einen Gefallen? Wie lange müsste es dort leben?«
    Der Papst zögerte. Er nickte, schloss
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