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Die Lanze des Herrn

Die Lanze des Herrn

Titel: Die Lanze des Herrn
Autoren: Arnaud Delalande
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Kopie nicht genau identisch ist, selbst wenn Seele und Körper nicht beteiligt sind, es wird dennoch immer genug Leute geben, die das glauben. Das wird die Psychoanalytiker und Psychiater lange beschäftigen. Alles im Namen des süßen Traums von der Unsterblichkeit, Heiliger Vater! Um die Angst vor dem Tod zu bannen. Paare werden sich die Eigenschaften ihrer Kinder bis in die kleinste Kleinigkeit aussuchen, um das ideale Kind zu zeugen, ein Kind, das vor allem gefeit ist… Dahin wird unsere Zivilisationskrise führen, unsere Identitätskrise, entstanden durch halbverdaute wissenschaftliche Esoterik! Science Fiction kann man das von heute an nicht mehr nennen. Wir alle kennen die Mythen vom Golem oder von Frankenstein. Diese Geschichten sollten uns eine Warnung sein, Eure Heiligkeit, aber jetzt sind sie Wirklichkeit geworden, und wir werden riesige Identitätsprobleme bekommen. Es wird zu einer Schizophrenie kommen, wie man sie sich gar nicht vorstellen kann. Das kann zur schlimmsten Katastrophe führen!«
    Kardinal Acquaviva holte einen Moment Luft und fuhr sich mit der Hand über die Lippen. Sein Rubin leuchtete.
    »Die Science-Fiction-Autoren befassten sich häufig mit der Frage, welche Beziehungen zwischen Mensch und Maschine bestehen. Aber der inneren Apokalypse, die durch das Klonen eines Menschen entsteht, dieser Frage sind sie nicht nachgegangen. Die großen Entdeckungen, der Buchdruck, die Atomkraft, die Informatik… alles alter Trödel. Was brauchen wir, um auf die neue Situation zu antworten? Müssen wir eine neue Heilige Schrift verfassen? Ein Klon-Evangelium schreiben? Das sind nur kleine Scherze angesichts der Bombe, die Axus Mundi gelegt hat. Heute verändern wir unsere Natur. Und mit ihr die Welt. Mit einer solchen Welt möchte ich jedoch nichts zu tun haben!«
    Er wartete eine Weile, legte die Hände zusammen und fuhr dann fort:
    »Aber die Verantwortung dafür liegt auch auf unseren Schultern. Es geschah zwar gegen unseren Willen, aber wir sind die Komplizen dieses Paradigmenwechsels geworden. Ein Kind wird geboren werden. Ein neues Bethlehem? Ein neues Produkt höchst geheimnisvoller Umstände! Wenn das Kind da ist, kann es das Gesicht der Welt verändern. Wohin treibt der Mensch? Es genügt, wenn eine solche Geburt nur ein einziges Mal stattfindet, Heiliger Vater, ein einziges Mal. Und das Allerschlimmste ist, dass es sich nicht um irgendeinen Menschen handelt, sondern um einen Klon Christi. Ist das Zufall? Christus verdanken wir die Idee der Menschenwürde. Er ist historisch und kulturell deren Inbegriff. Die Schwärmer von Axus Mundi haben geglaubt, ihr Klon bedeute die Rückkehr des Messias. Können wir noch zurück? Irgendwann wird der Ursprung dieses Kindes bekannt. Das bereitet mir die allergrößte Sorge. Denn von diesem Tag an könnten wir aufhören zu existieren. Die Kirche könnte daran sterben. Ihre Macht könnte vergehen. Und mit ihr ihre zweitausendjährige Geschichte. Davon wird sich die zivilisierte Welt nicht erholen.«
    Wieder schwieg er. Kardinal Lorenzo und Judith hörten zu und wagten nicht, ein Wort zu sagen. Der Papst blickte auf seinen Schreibtisch, auf dem die ersten Blätter der Enzyklika »Ad vitam aeternam« lagen.
    Langsam wandte er sich um.
    »Und was schlagen Sie vor, Eminenz?«, fragte der Papst. Dann schüttelte er den Kopf. Angespanntes Schweigen herrschte im Raum. Nun fuhr der Heilige Vater fort:
    »Eine Abtreibung nach nur einem Monat Schwangerschaft würde allen gut passen. Meinen Sie das?«
    Kardinal Acquaviva erstarrte und kniff die Lippen zusammen. Er schien verlegen, seine Stimme klang nun etwas weniger hell.
    »Das… das habe ich nicht gesagt. Sie wissen, wer ich bin und welche Position ich hier vertrete. Ich sage nicht, man müsse verhindern, dass das Kind geboren wird. Ich beschränke mich darauf, die Konsequenzen aufzuzeigen, die sein Kommen mit sich bringt. Und was uns objektiv erwartet.«
    Er beugte sich vor.
    »Was haben wir diesem Kind zu bieten? Wenn seine Existenz bekannt wird, wird es aller Welt als seltener Vogel präsentiert. Es wird eine leichte Beute aller Wunsch- und Wahnvorstellungen. Die Medien, Sekten und religiösen Gruppen aller Konfessionen werden es zerfleddern. Die Politiker werden es für ihre Zwecke benutzen, Werbeagenturen werden mit seiner Hilfe Seife verkaufen wollen, die Kirche wird lächerlich gemacht, die Botschaft des Evangeliums wird untergehen. Und das Kind selbst? Wie soll es eine Identität entwickeln? Was soll es von
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