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Die Lagune Der Flamingos

Die Lagune Der Flamingos

Titel: Die Lagune Der Flamingos
Autoren: Sofia Caspari
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Eigentlich hatte sie sich vorgestellt, zu dieser Stunde noch eine Weile allein zu sein. Sie seufzte.
    »Wer bist du?«
    »Violetta Pessoa, Señorita Santos.«
    Ah, Marcos kleine Schwester …
    Jetzt erinnerte sie sich.
    »Was ist denn, Violetta, kann ich dir helfen?«
    Die Kleine blickte Estella aus großen Augen an. »Meine Eltern wollen heute nicht aufstehen.«
    »Sie wollen was nicht?«
    Estella war einen Moment lang irritiert, dann kam ihr ein schrecklicher Gedanke. O nein, was, wenn die Cholera Los Aboreros, Don Laurentios Estancia, erreicht hatte?
    Estella zögerte keinen Moment, warf sich einen Umhang um und folgte Violetta. Die Kleine lief so schnell und kannte den Weg offenbar so gut, dass Estella Mühe hatte, ihr auf den Fersen zu bleiben. Bald hatten sie Los Aboreros erreicht.
    Warum hat sie eigentlich nicht einen der hiesigen Arbeiter um Hilfe gebeten?, fuhr es Estella durch den Kopf, während ihr im nächsten Moment auch schon der Gestank auffiel. Danach erst gewahrte sie die gespenstische Stille.
    Sie waren alle tot. Estella war so entsetzt, dass sie nicht wusste, ob sie schreien, in Tränen ausbrechen oder einfach nur erstarren wollte. Auf der Veranda des Hauses lagen zwei Leichen. Über eine Tiertränke im Hof gebeugt, kauerte ebenfalls eine Tote. Estella presste sich ein Taschentuch vor den Mund, aber es war zu spät. Im nächsten Moment musste sie sich übergeben. Offenbar waren diejenigen, die nicht erkrankt waren, von der Estancia geflohen. Estella nahm Violetta bei der Hand.
    »Wir müssen zurück, wir müssen Hilfe holen«, keuchte sie heiser. Der Gestank war unerträglich.
    »Aber mamá und papá … «
    »Wir kümmern uns um sie. Jetzt müssen wir aber erst einmal weg.«
    Estella zerrte Violetta hinter sich her. Der Weg zurück nach Tres Lomas schien ihr so lange zu dauern wie niemals zuvor. Dort angekommen schrie sie wie von Sinnen nach Hilfe.
    Viktoria und Pedro eilten herbei.
    »Was ist denn, um Gottes willen?«
    Jetzt konnte Estella die Tränen nicht mehr zurückhalten. »Auf Los Aboreros sind alle tot, alle sind sie tot!«
    Viktoria befahl Estella und Violetta, sofort zu baden, hieß sie, sich danach mit Lysol abzureiben, und verbrannte ihre Kleider. Unterdessen machten sich Pedro und einige Helfer auf den Weg zu Don Laurentios Estancia. Die Leichen der Familie Pessoa lagen in ihrer Hütte, Don Laurentio und seine Frau lagen in ihrem Bett. Weitere Leichen fanden sich im Hof und auch im Haus. Es musste sehr schnell gegangen sein. Pedro und seinen Helfern blieb nichts anderes, als ein Massengrab auszuheben und die Toten so rasch wie möglich zu bestatten. Zur Warnung kennzeichnete Pedro das Tor zur Estancia mit einem weißen Kreuz, dann verließen sie den unheimlichen Ort.
    Viktoria bereitete auch den Männern Badewasser und stellte noch mehr Lysol bereit. Abends saßen Pedro und sie erschöpft auf der Veranda.
    »Wir müssen Marco schreiben«, sagte Viktoria leise.
    Pedro nickte.
    Früh am nächsten Morgen wurden Viktoria und Pedro von einer aufgeregten Estella geweckt.
    »Violetta atmet so komisch. Bitte, kommt schnell.«
    Pedro telegrafierte nach Buenos Aires, während Viktoria und Estella sich um Violetta kümmerten. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als das Mädchen sauber und warm zu halten, und ihm immer wieder Flüssigkeit einzuflößen. Bald war Violetta apathisch. Auch sonst zeigte sie die typischen Symptome der Cholera. Sie übergab sich schwallartig, hatte schwere Durchfälle, ihre Haut verfärbte sich bläulich, und sie verfiel immer wieder in einen komaähnlichen Zustand.
    Sechs Tage, fuhr es Viktoria durch den Kopf, die meisten Kranken versterben binnen sechs Tagen. Sie hatten jetzt den dritten Tag erreicht, und sie hatte den Eindruck, dass es schlecht um Violetta stand.
    Aber sie irrte sich. Die Kleine war zäh. Am vierten Tag schien sich ihr Zustand erstmals zu stabilisieren. Als Marco zwei Tage später eintraf, saß sie bereits wieder aufrecht im Bett und löffelte Reissuppe.
    »Marco«, rief sie und streckte die Arme nach ihrem Bruder aus. Der umfing sie und drückte sein Gesicht in ihr dunkles Haar.
    Sie haben nur noch sich, fuhr es Estella durch den Kopf, während sie die beiden beobachtete.
    Während der aufregenden letzten Tagen hatte sie kaum an Marco denken können, obgleich sie doch gewusst hatte, dass sie ihm nun bald wieder gegenüberstehen würde. Sie hatten einander nur selten gesehen in den Jahren, seit er fortgegangen war. Gewiss, er hatte seine Familie
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