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Die Lagune Der Flamingos

Die Lagune Der Flamingos

Titel: Die Lagune Der Flamingos
Autoren: Sofia Caspari
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einen Tisch, der unter dem einzigen Fenster stand. »Und dann reitest du wie der Teufel zurück nach Tucumán. Ich weiß, dass du das kannst. Du wartest nicht, du reitest sofort los. Den Sanchez ist nicht zu trauen.«
    »Es ist deine Familie, und du traust ihr nicht?«
    »Nein. Es ist wichtig, dass du entkommst, ja? Wie sollte mein Kuhhandel denn sonst funktionieren?«
    Humberto versuchte zu grinsen. Scheinbar hatte er seinen alten Humor doch noch nicht ganz verloren …
    Es gab Zeiten, da haben wir wirklich miteinander gelacht, damals in Paris und …
    Humbertos Stimme unterbrach Viktorias Gedanken jäh. »Ich habe Salta immer geliebt«, sagte er, »aber hier ändert sich nie etwas. Man geht zur Messe, macht seinen Abendspaziergang auf der Plaza. Später versammeln sich die Männer zum Billardspiel, schauen beim Hahnenkampf zu oder spielen Karten. Seit eh und je geht das so. Hier wird sich niemals etwas ändern, und es sind immer dieselben Familien, die das Leben kontrollieren.«
    »Deine Familie«, bemerkte Viktoria leise.
    »Ja.«
    »Unser gemeinsames Leben hätte anders verlaufen können, wenn …«
    »Ja, wenn … wenn wir in Paris geblieben wären, meinst du?«
    Humberto sah sie nachdenklich an. War es der nahe Tod, der ihn anders denken ließ? Konnte sie sich jetzt wirklich auf ihn verlassen?
    »Denkst du denn manchmal noch an die Zeit in Paris?«, fragte sie.
    »Ich habe irgendwann wieder angefangen, daran zu denken. Wenn … Wenn sie nicht gewesen wäre …«
    Er musste den Namen seiner Mutter nicht aussprechen, Viktoria wusste, dass er an sie dachte.
    Selbstgerechter, feiger Trottel, fuhr es ihr durch den Kopf, du hättest dein eigenes Leben führen können. Im nächsten Moment ermahnte sie sich wieder. Er stirbt, dachte sie, sei nicht so streng mit ihm.
    Eines gab es allerdings noch, das Viktoria brennend interessierte. »Wie ist Don Ricardo damals eigentlich wirklich zu Tode gekommen?«
    Humberto sah sie einen Moment lang ausdruckslos an. »Ich möchte darüber nicht reden«, sagte er dann. »Lass dir gesagt sein, dass ich meinen Frieden mit Gott gemacht habe.«
    »Aber …«
    Humberto schloss die Augen und reagierte nicht mehr. Viktoria wartete noch einen Moment, doch offenbar war er eingeschlafen.
    Als Humbertos Kinderfrau aus den Schatten des Raumes auf sie zutrat, zuckte Viktoria zusammen. Sie hatte gar nicht bemerkt, wie viel dunkler es inzwischen geworden war. Eigentlich hatte sie sich vorgestellt, sich nach so vielen Jahren noch rasch ein eigenes Bild von der Lage auf Santa Celia zu machen, doch sie war an Humbertos Bett sitzen geblieben. Natürlich würde sie am kommenden Morgen in aller Frühe aufbrechen müssen – dann blieb also auch keine Zeit mehr –, aber sie brachte es einfach nicht über sich, ihn alleinzulassen.
    In der kommenden Nacht starb Humberto. Es war, als hätte er nur noch auf sie gewartet.
    Viktoria trauerte nicht, aber sie fühlte ein gewisses Bedauern in sich, auch wenn der Mann, den sie damals in Paris kennen und lieben gelernt hatte, schon lange verloren war. So wie er sie angewiesen hatte, nahm sie die Ledermappe an sich. Nun werde ich niemals erfahren, wer Don Ricardo getötet hat, fuhr es ihr durch den Kopf, während sie die Mappe öffnete. Drei Verträge fanden sich darin, in denen Humberto Estella Santa Celia, Tres Lomas und La Dulce überschrieb. Zumindest einen Teil der Schwierigkeiten hatte er damit aus dem Weg geräumt.
    Du musst diesen Ort schnell verlassen. Sie erinnerte sich daran, was Humberto am Abend vorher zu ihr gesagt hatte. Sobald sich die Nachricht von seinem Tod verbreitete, würden sich die Sanchez wie die Geier auf Santa Celia und den restlichen Saltenser Besitz stürzen.
    Es gelang Viktoria und ihrem Begleiter tatsächlich, unbeschadet nach Tucumán durchzudringen. Wenige Tage später brach auch dort die Cholera aus. Obwohl viele Einwohner in die Berge flohen, starben bald täglich mehrere hundert Menschen. Jede Ordnung war gestört. Die Geschäfte blieben geschlossen, ebenso die Hotels, Gaststätten und Bäckereien. Es gab nichts mehr zu kaufen, nur mit Mühe konnte man etwas zu essen erwerben. Ein Zug mit Ärzten und Krankenwärtern, der schließlich aus Córdoba eintraf, erreichte einen Ort, der vollkommen verlassen wirkte.

Elftes Kapitel
    »Señorita Santos?«
    Vor ihr, gespenstisch beleuchtet vom Schein der Laterne, denn es war noch früh am Morgen, stand ein kleines Mädchen, das Estella vage bekannt vorkam. Sie zog die Augenbrauen hoch.
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