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Die Kunst engagierter Gelassenheit

Die Kunst engagierter Gelassenheit

Titel: Die Kunst engagierter Gelassenheit
Autoren: Lukas Niederberger
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greifbarem
Erfolg treiben sie sich in einen Zustand hinein, in dem sie nicht glauben können, Gott könnte an ihnen Gefallen finden, wenn sie nicht ständig mit einem Dutzend Aufgaben gleichzeitig beschäftigt sind. Hie und da hört man sie laut klagen und sich beschweren, dass sie keine Zeit mehr fürs Gebet haben, aber sie sind im Täuschen ihrer selbst derartige Experten geworden, dass sie gar nicht mehr merken, wie unaufrichtig ihr Jammern ist. Sie lassen es nicht bloß zu, dass sie immer noch mehr Arbeit bekommen, sondern sie sehen sich sogar selbst noch nach weiteren Aufgaben um. Wie viele haben wohl bereits die ersten Funken der Kontemplation erstickt, indem sie schon eine Menge Holz auf das Feuer gepackt haben, ehe es richtig zu brennen begonnen hat! Vom ersten Anreiz des inneren Gebets lassen sie sich derart erregen, dass sie unverzüglich ehrgeizige Projekte zur Belehrung und Bekehrung der ganzen Welt entwerfen, während doch Gott von ihnen nur will, dass sie still sind und im Frieden bleiben, damit er mit seinem geheimnisvollen Wirken in ihrer Seele anfangen kann. Aber wehe, jemand will ihnen erklären, dass in ihrem Eifer für Aktivitäten eine beträchtliche Unvollkommenheit stecken könnte und dass Gott diese gar nicht von ihnen wolle! Dann erklären sie ihn zum Ketzer.«

    Es geht nicht darum, dass wir aus dem Hamsterrad aussteigen. In der Hängematte auf den Malediven können wir das Hamsterrad ferienhalber oder durch Frühpension leicht verlassen. Dieses Buch möchte vielmehr dazu beitragen, dass wir souveräner, selbstbestimmter und gelassener mit dem Hamsterrad umgehen können. Wir wollen nicht gegen das Rad ankämpfen, sondern darüber nachdenken, ob und wie
wir innerhalb dieses Rades von der rasenden Peripherie mehr in Richtung des ruhenden Pols in der Radmitte gelangen können.
    Nebenbei bemerkt: Das Bild des Hamsterrads tut dem Hamster Unrecht. Hamster wirken in ihren Rädern weder unruhig noch gestresst oder unglücklich. Sie rennen einfach in ihrem Rad, ganz nach der Devise der Mystikerin Teresa von Ávila: »Was du tust, das tue ganz.« Ein Vorbild für den Menschen im Hamsterrad könnte Sisyphus, der Held aus der griechischen Mythologie sein. Die Götter verlangten von ihm, einen Steinbrocken auf den Berg hinaufzurollen, von wo der Stein aber immer wieder herunterrollte. Sisyphus drohte anfangs zu verzweifeln. Aber irgendwann fand er sich mit der Situation ab und nutzte die Zeit des Hinuntergehens zur Reflexion über seine ohnmächtige Situation. Die Folge war, dass er sich von den Göttern völlig distanzierte und sich ihrem Ziel verweigerte, dass der Stein auf dem Berg bleiben müsse. Sisyphus kreierte sein eigenes Ziel, nämlich auf dem Weg zu sein. Auf diese Weise erreichte er heitere Gelassenheit.
    Wenn wir im Hamsterrad das Tempo drosseln, bedeutet dies noch nicht automatisch ein Mehr an innerer Ruhe und Sammlung. Statt gegen das Hamsterrad zu kämpfen, es zu bremsen oder aus ihm auszusteigen, geht es darum, das schnell rotierende Rad zu akzeptieren und nicht als vermeintliche Opfer des Systems über das Hamsterrad zu jammern, sondern seinen Lauf möglichst aktiv und kreativ zu gestalten.
■ Welche Erkenntnisse und Fragen habe ich nach diesem ersten Buchteil?

GELASSENHEIT
    Der Gelassene findet Freude im Herzen,
auch wenn die Zeit des Kummers kommt.
Rumi (Sufi-Mystiker und Dichter, 1207 – 1273)
    Vor einiger Zeit wurde die Enkelin einer Freundin auf den Namen Seraina getauft. Als ihre Oma den rätoromanischen Namen hörte, fragte sie ihren Sohn, ob dieser Name, der Seelenruhe, Heiterkeit und Gelassenheit bedeute, einer Wunschvorstellung der Eltern entspringe oder ob er speziell zum Kind passe. Ihr Sohn meinte: »Im Prinzip das zweite, doch manchmal nennen wir sie auch Sirene.«
    Gelassenheit galt den griechischen Philosophen und Dichtern als Schlüssel zum psychischen Wohlbefinden. Wenn sie den gelassenen Zustand von Geist und Seele zu beschreiben suchten, wählten sie das Bild der γαλήνη (Galéne), der still strahlenden und nur leise bewegten Meeresoberfläche. Epikur sah darin unser Daseins-Vorbild schlechthin. Und Euripides stellte im Jahr 412 vor unserer Zeitrechnung das Bild der Galéne als seelisch-geistiges Ideal an den Anfang seines Dramas »Helena«.

    Die Griechen differenzierten zwischen vier verschiedenen Dimensionen der Gelassenheit:
› Sokrates hob die σωϕροσύνη (sophrosýne = Besonnenheit) als menschliche Haupttugend hervor. Diese Form der überlegten,
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