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Die Kunst engagierter Gelassenheit

Die Kunst engagierter Gelassenheit

Titel: Die Kunst engagierter Gelassenheit
Autoren: Lukas Niederberger
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Schwimmbadgröße bis zur Art der Sandkörner am Strand.
    Einige Gelassenheitshemmer scheinen auch geschlechtsspezifisch zu sein. Eine Freundin, Mitte vierzig, schrieb: »Ungelassen bin ich, wenn übergangen, unterbrochen und weggeschoben werde.« Und eine 53-jährige Kaderfrau doppelte nach: »Ich reagiere ungelassen, wenn ich den Eindruck habe, persönliche Machtansprüche dominieren Entscheidungen.« Selbstverständlich reagieren auch Männer ungelassen, wenn sie nicht beachtet werden. Und auch Frauen können einen in Sitzungen und Diskussionen unterbrechen und übergehen. Dennoch werden Frauen trotz Emanzipation auch in der heutigen westlichen Kultur auf vielen Ebenen diskriminiert und übergangen. Und darum ist es auch verständlich, dass Frauen und Männer in bestimmten Situationen nicht gleich gelassen reagieren.
    Die Liste der Gelassenheits-Hemmer ist unerschöpflich. Eine befreundete Redakteurin hatte gleich einen ganzen Katalog von Gelassenheitshemmern:
    »Ungelassen bin ich, wann immer ich Intoleranz, Arroganz, Gleichgültigkeit, Unaufrichtigkeit und Ungerechtigkeit begegne. In der Überforderung, in der Angst, dem seelischen und auch körperlichen Schmerz, der Sorge um Menschen, die ich liebe. Wenn ich mich ausgeliefert fühle, ohnmächtig, orientierungslos, ausgenutzt. Bei Gesprächsverweigerung. Wenn Macht missbraucht wird, privat wie auch im öffentlichen Bereich. Wenn nicht der gesunde Menschenverstand über eine Sache entscheidet, sondern die besseren finanziellen Mittel oder das geschicktere Lobbying.Wenn ich meine eigenen Erwartungen nicht erfülle.«
    Auch eine Meditationslehrerin präsentierte eine ganze Liste von Gelassenheitshemmern:
    »Ungelassen bin ich in Situationen, die mich an meine Grenzen bringen: Grenzen der Geduld, Grenzen des Verständnisses, Grenzen des Mitgefühls und der Liebe, Grenzen meiner körperlichen Belast barkeit – letzlich alle Grenzen, die mit meinem Festhalten an meinen Vorstellungen, Ideen, Ideologien, Bedürfnissen, Wünschen und Erwartungen zu tun haben (dass andere sich nicht so und so verhalten sollten, dass die Politik nicht so sein dürfte, dass ich etwas oder jemanden unbedingt besitzen möchte etc.).«
    Die folgende Aufzählung von Gelassenheitshemmern habe ich bewusst weder thematisch noch alphabetisch, weder nach Wichtigkeit noch nach Häufigkeit gruppiert. Ich unterscheide die Gelassenheitshemmer auch nicht nach verschiedenen Lebensbereichen (innerpsychisch, partnerschaftlich, familiär, betrieblich, politisch, gesellschaftlich, global), sondern bewusst
zufällig. Ob ich ungelassen bin und schlaflose Nächte habe, weil ich mich vor Stechmücken fürchte, oder weil die Firma Stellen abbaut, weil die Aktienkurse in den Keller rutschen oder die Ozonlöcher zunehmen, spielt nur dann eine Rolle, wenn ich die tieferen Gründe der Ungelassenheit verstehen und von dort aus zu mehr Gelassenheit finden will. Manche Gelassenheitshemmer werden uns vertraut erscheinen, bei anderen können wir aufatmen, weil wir sie nur bei anderen Menschen sehen.
    Aussehen
    Wenn wir morgens beim Blick in den Spiegel neue Falten, graue Haare oder Pickel entdecken, beim Tritt auf die Waage erschrecken, den Reißverschluss der frisch gewaschenen Jeans nur mit Mühe hochziehen können oder die Partnerin schmunzelnd in die weichen Teile über der Hüfte kneift, fällt eine gelassene Lebenshaltung schwer. Und wenn uns dann noch all die jungen, schlanken Frauen und Männer von den Werbeplakaten und den Illustrierten am Kiosk entgegenlachen, kann die Gelassenheit leicht entschwinden. Nicht umsonst lässt sich mit Diäten, Kosmetika und Botox-Spritzen viel Geld verdienen. Gerade beim Thema Aussehen stellt sich die Hauptfrage der Gelassenheit: Soll und kann ich den Status quo als unvermeidbar akzeptieren und möglichst konstruktiv damit umgehen? Oder will, muss und kann ich den Zustand verändern?
    Eigene und fremde Erwartungen
    »Gelassenheit fehlt mir, wenn ich unter Ansprüchen anderer leide, die nicht gerechtfertigt sind.« (Mann, 50 Jahre)
    »Ungelassen bin ich, wenn ich blöd dastehe und das Gefühl habe, aus Selbstverschulden nicht mein Bestes gegeben zu haben.« (Frau, 35 Jahre)
    Unzufriedenheit misst man heute wissenschaftlich als Nicht-Erfüllung von aufgestellten Erwartungen. Viele leiden am Gefühl, fremden wie eigenen Erwartungen nie oder zumindest nicht immer zu genügen. Das führt so weit, dass wir nicht nur unsere Prioritätensetzung in Frage stellen, sondern die gesamte
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