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Die Kunst engagierter Gelassenheit

Die Kunst engagierter Gelassenheit

Titel: Die Kunst engagierter Gelassenheit
Autoren: Lukas Niederberger
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selbstbeherrschten Gelassenheit lässt gerade in schwierigen und heiklen Situationen den Verstand die Oberhand über die Gefühle behalten.
› ταραξία (ataraxía = Seelenruhe) drückt den Gemütszustand aus, den man durch maßvolle Bedürfnisbefriedigung und Konzentration auf die geistigen Interessen erreicht.
› διάϕορα (adiáfora = Gleichmut) bezieht sich nicht nur in Entscheidungssituationen, sondern in allen Lebenslagen auf eine innere ethische und emotionale Neutralität, zum Beispiel gegenüber Gesundheit und Krankheit, Erfolg oder Misserfolg.
› πάθεια (apátheia = Leidenschaftslosigkeit) ist die Befreiung von ungeordneten Leidenschaften, Begierden und Affekten. Die Unempfindlichkeit kann auch negativ Teilnahmslosigkeit bedeuten.
› Die römischen Philosophen und Dichter verwendeten ebenfalls mehrere Begriffe, die die verschiedenen Dimensionen der Gelassenheit ausdrückten:
› serenitas bedeutet Helligkeit, Klarheit, Weisheit und Heiterkeit.
› aequo animo ist das Gleichgewicht und die Ausgewogenheit der Seele.
    Seneca übersetzte mit dem Begriff tranquilitas animi den griechischen Ausdruck ataraxía ins Lateinische. Damit fokussierte er die innere Ruhe und Ausgewogenheit mehr auf Geist und Seele als auf den Körper.

    In der französischen Sprache wird das Wesen der Gelassenheit mit den Ausdrücken tranquilité, placidité, sérénité, abandon, calme, désinvolture und lâcher-prise umschrieben. Manchmal wird auch der Ausdruck sang-froid verwendet, während in der deutschen Sprache Kaltblütigkeit alles andere als Gelassenheit ausdrückt.
    In der englischen Sprache wird Gelassenheit mit calmness, composure und detachment umschrieben. Jugendliche würden sie bestimmt als coolness beschreiben.
    Wie manch andere deutsche Wörter (zum Beispiel Bildung, Einbildung, Anschauung, Einigung, Innigkeit, Seelengrund, Wesenheit) stammt auch der Ausdruck Gelassenheit nicht aus einer direkten Übersetzung aus der griechischen oder lateinischen Sprache, sondern ist eine Eigenkreation der Deutschen Mystik, höchst wahrscheinlich von Meister Eckhart (1260 – 1328). Gemeint war eine Geisteshaltung bzw. ein Seelenzustand und eine Tugend unter Einbeziehung der gesamten Existenz. Meister Eckhart führte den Ausdruck im Zusammenhang des Spannungsverhältnisses zwischen Diesseits und Jenseits, Irdischem und Himmlischem, Menschlichem und Göttlichem ein:

    »Wer sich gänzlich (nur) einen Augenblick ließe, dem würde alles gegeben. Wäre dagegen ein Mensch zwanzig Jahre gelassen und nähme sich selbst auch nur einen Augenblick zurück, so ward er noch nie gelassen. Der Mensch, der gelassen hat und gelassen ist und der niemals mehr nur einen Augenblick auf das sieht, was er gelassen hat, und beständig bleibt, unbewegt in sich selbst und unwandelbar, – dieser Mensch ist gelassen.« (Predigt 13, anno 1325 in Köln).

    Die Gelassenheit stand bei den deutschen Mystikern in direktem Zusammenhang mit der Sehnsucht nach und der Vereinigung mit Gott – im Jenseits wie auch mitten im Diesseits. Die Bedeutung des Ausdrucks Gelassenheit hat sich im Verlauf der Zeit geändert. Vom 13. bis 16. Jahrhundert entleerte er sich der spekulativen und religiösen Dimension, weg von dem Einssein in und mit Gott hin zu weltlich-ethischen Aspekten wie der Loslösung von Egozentrismus. Seit dem 16. Jahrhundert entwickelte sich die Gelassenheit weiter von der ethischen Forderung zum Ausdruck individueller Lebenszufriedenheit und Lebensbewältigung.
    Gelassenheit kann nicht durch ein einziges bestimmtes Wort erschöpfend definiert werden, sondern lässt eine Vielfalt von Beschreibungen zu:
    »Gelassenheit ist die Fähigkeit, im Kontakt mit der eigenen Mitte zu sein und uns dadurch zu identifizieren oder zu disidentifizieren mit unseren Gefühlen.« (Frau, 40 Jahre)
    »Gelassenheit bedeutet, die Menschen, Dinge und Situationen zu betrachten, zu würdigen, zu schätzen, zu genießen, mich auf sie einzulassen, sie aber nicht besitzen und festhalten zu wollen.« (Mann, 48 Jahre)
    »Gelassenheit heißt, nicht alles so ernst und persönlich zu nehmen.« (Mann, 44 Jahre)
    »Gelassenheit ist für mich – in letzter Konsequenz – die Einübung ins gute Sterben.« (Frau, 43 Jahre)
    »Gelassenheit ist die heitere Gemütsruhe – besonders in misslichen Lagen, bei schmerzhaften oder außerordentlich glücklichen Ereignissen. « (Frau, 47 Jahre)
    »Gelassenheit beinhaltet das Wort lassen und bedeutet darum, die Dinge sein lassen zu können
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