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Die Kunst des Träumens

Die Kunst des Träumens

Titel: Die Kunst des Träumens
Autoren: Carlos Castaneda
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geriet ich auch in die zweite Aufmerksamkeit, und wenn ich vom Träumen erwachte, so bedeutete dies nicht unbedingt, daß ich auch den Zustand der zweiten Aufmerksamkeit verließ. Jahrelang konnte ich mich nur teilweise an meine Traumerfahrungen erinnern. Der größte Teil dessen, was ich erlebte, blieb mir energetisch unzugänglich. Es brauchte fünfzehn Jahre ununterbrochener Arbeit, von 1973 bis 1988. bis ich genügend Energie gespeichert hatte, um alles geistig in eine lineare Reihenfolge zu bringen. Dann aber erinnerte ich mich an immer neue Abschnitte meiner Traumerfahrungen, und es gelang mir endlich, gewisse scheinbare Gedächtnislücken aufzufüllen. Auf diese Weise erkannte ich auch, welcher Zusammenhang den Unterweisungen Don Juans in der Kunst des Träumens innewohnte: ein Zusammenhang, der mir entgangen war, da er mich stets zwischen dem alltäglichen Bewußtsein und der Bewußtheit der zweiten Aufmerksamkeit pendeln ließ. Aus solcher Aufarbeitung ist dieses Buch hervorgegangen. Und damit bin ich beim Kern dessen, was ich sagen wollte: nämlich dem Grund, warum ich dieses Buch schreiben musste. Nachdem mir Don Juans Lehren über die Kunst des Träumens nun in fast allen Teilen geläufig sind, möchte ich gerne in einer künftigen Studie berichten, welche Positionen und Interessen seine vier letzten Schüler gegenwärtig vertreten: Florinda Donner-Grau, Taisha Abelar. Carol Tiggs und ich selbst. Doch bevor ich schildern und erklären kann, zu welchen Ergebnissen Don Juans Einfluss uns führte, muß ich im Lichte dessen, was ich heute weiß, jene Teile der Lehren Don Juans über das Träumen darstellen, die mir vorher unzugänglich waren.
    Den entscheidenden Anstoß zu diesem Buch gab mir aber Carol Tiggs. Die Welt zu erklären, die Don Juan uns hinterlassen hat, so glaubt sie, ist höchster Ausdruck unserer Dankbarkeit ihm gegenüber und unserer Verpflichtung für sein Streben.
     

1. Die Zauberer der Vorzeit: eine Einführung
    Don Juan betonte immer wieder, daß alles, was er mich lehrte, von Menschen erdacht und erarbeitet worden sei, die er die Zauberer der Vorzeit nannte. Dabei stellte er kategorisch klar, es gebe grundlegende Unterschiede zwischen jenen alten Zauberern und den Zauberern moderner Zeiten. Die Zauberer der Vorzeit bezeichnete er als Menschen, die wohl Jahrtausende vor der Eroberung Mexikos durch die Spanier lebten; es waren Menschen, deren große Leistung es war, die Grundlagen der Zauberei zu legen, wobei sie vor allem auf praktische Anwendbarkeit und Konkretheit Wert legten. Er schilderte sie als hervorragend begabte Leute, denen es aber an Weisheit fehlte. Die modernen Zauberer hingegen bezeichnete Don Juan als Leute von ausgewogenem Sinn, die imstande seien, die Entwicklung der Zauberei zu korrigieren, falls sie dies für notwendig hielten. Don Juan erklärte mir, daß die Prämissen der Zauberei, soweit sie für das Träumen gelten, auf ganz natürliche Weise von den alten Zauberern erdacht und weiterentwickelt wurden. Diese Prämissen muß ich zwangsläufig - weil sie den Schlüssel zum Verständnis und zur Erklärung der Zauberei bieten - noch einmal darstellen und diskutieren. Vieles, was ich früher schon beschrieben habe, wird daher in diesem Buch wieder aufgegriffen und weiterentwickelt.
    Um das Träumen und die Träumer richtig einzuschätzen, sagte Don Juan in einem unserer Gespräche, müsse man das Bemühen der modernen Zauberer würdigen, die Zauberei von jener einstigen Konkretheit wegzuführen - hin zum Abstrakten. »Was bezeichnest du als Konkretheit, Don Juan?« fragte ich. »Den praktischen Teil der Zauberei«, sagte er. »Diese zwanghafte Beschäftigung mit Praktiken und Techniken; diese unverantwortliche Beeinflussung anderer Menschen. All dies gehörte zur Zauberei früherer Zeiten.«
    »Und was ist für dich das Abstrakte?«
    »Das Streben nach Freiheit. Nach der Freiheit nämlich, alles, was Menschen möglich ist, ohne zwanghafte Vorurteile wahrzunehmen. Die heutigen Zauberer, sage ich, streben nach dem Abstrakten, weil sie nach Freiheit streben. Es geht ihnen nicht um konkrete Vorteile. Sie erfüllen auch keine soziale Funktion mehr, wie die Zauberer alter Zeiten. Sie treten nicht als offizielle Seher oder Dorfzauberer auf.«
    »Glaubst du, Don Juan, daß die Vergangenheit bedeutungslos für die modernen Zauberer ist?«
    »Gewiß ist sie von Bedeutung. Aber wir lehnen die Atmosphäre dieser Vergangenheit ab. Was mich betrifft, so lehne ich die dunklen,
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