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Die Kunst des Pirschens

Titel: Die Kunst des Pirschens
Autoren: Carlos Castaneda
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die drei Genaros und ich auf dem Fußboden in la Gordas Zimmer. Die Frauen hockten nebeneinander.
    Aus irgendeinem Grund hatte ich, obwohl ich mit ihnen allen gleich lange zusammengewesen war, la Gorda als einzige Empfängerin all meiner Anteilnahme ausersehen. Es war, als ob die anderen für mich nicht existierten. Ich vermutete, daß es deshalb so war, weil la Gorda mich an Don Juan erinnerte, die anderen aber nicht. Mit ihr zusammen fühlte ich mich sehr unbefangen, aber diese Unbefangenheit lag wohl weniger an ihrem Verhalten als an meinen Gefühlen ihr gegenüber.
    Sie wollten wissen, was ich in der Zwischenzeit gemacht hatte. Ich erzählte ihnen, daß ich gerade in Tula, im Staat Hidalgo, gewesen war, wo ich mir archäologische Ruinen angesehen hatte. Am meisten hatte mich eine Reihe von vier kolossalen, säulenähnlichen Steinfiguren beeindruckt, »die Atlanter« genannt, die auf der flachen Spitze einer Pyramide stehen.
    Jede dieser beinahe kreisrunden Figuren, die fünfzehn Fuß in der Höhe und drei Fuß im Querschnitt messen, ist aus vier einzelnen Basaltblöcken zusammengefügt und in einer Weise behauen, daß die Archäologen vermuten, sie stellen Tolteken-Krieger in ihrer Kriegsrüstung dar. Zwanzig Fuß hinter jeder dieser vorderen Figuren findet sich auf dem flachen Gipfel dieser Pyramide eine weitere Reihe von vier flacheren, rechteckigen Säulen von gleicher Höhe und Breite wie die ersten, ebenfalls aus vier einzelnen Blöcken zusammengefügt.
    Der ehrfurchtgebietende Eindruck, den diese Atlanter hervorriefen, wurde noch gesteigert durch das, was ein Freund, der mich durch die Anlage führte, mir über sie erzählt hatte. Er sagte, ein Wächter dieser historischen Ruinen habe ihm verraten, daß man die Atlanter nächtens habe umherwandern hören, wobei der Boden unter ihnen bebte.
    Ich befragte die Genaros nach ihrer Meinung über das, was mein Freund mir erzählt hatte. Sie taten verlegen und kicherten. Ich wandte mich an la Gorda, die neben mir saß, und fragte ganz direkt, was ihre Ansicht sei.
    »Ich habe noch nie solche Figuren gesehen«, sagte sie. »Ich bin nie in Tula gewesen. Schon die bloße Vorstellung, in diese Stadt zu fahren, macht mir Angst.«
    »Warum macht es dir Angst, Gorda?« fragte ich.
    »In den Ruinen von Monte Alban, in Oaxaca, ist mir mal etwas passiert«, sagte sie. »Früher trieb ich mich gerne bei diesen Ruinen herum, auch nachdem der Nagual Juan Matus mir gesagt hatte, ich dürfe keinen Schritt auf dieses Gelände tun. Ich weiß nicht warum, aber ich liebte diesen Ort. Jedesmal, wenn ich in Oaxaca war, ging ich hin. Weil Frauen, wenn sie allein sind, immer belästigt werden, ging ich meistens mit Pablito, der sehr mutig ist. Einmal aber ging ich mit Nestor hin. Ich sah ein Glitzern am Boden. Wir gruben ein Stück weit in die Tiefe und fanden einen seltsamen Stein, der genau in meine hohle Hand paßte. In den Stein war säuberlich ein Loch gebohrt. Ich wollte meinen Finger durchstecken, aber Nestor hinderte mich daran. Der Stein war glatt und machte meine Hand ganz heiß. Wir wußten nicht, was wir damit anfangen sollten. Nestor legte ihn in seinen Hut, und wir trugen ihn, als ob er ein lebendiges Tier wäre.“ Alle fingen an zu lachen. Was la Gorda mir erzählt hatte, schien irgendeinen geheimen Witz zu enthalten.
    »Wohin habt ihr ihn gebracht?« fragte ich sie.
    »Wir brachten ihn hierher, in dieses Haus«, antwortete sie, und diese Feststellung riß die anderen zu hemmungslosem Gelächter hin. Sie husteten und keuchten vor Lachen.
    »Dieser Witz geht auf la Gorda«, sagte Nestor. »Du mußt wissen, sie ist starrköpfig wie ein Maulesel. Der Nagual hat ihr immer gesagt, sie dürfe nicht mit Steinen oder Knochen oder irgendwelchen anderen, im Boden vergrabenen Dingen herumtändeln. Aber sie tat es immer heimlich hinter seinem Rücken und schleppte allen möglichen Mist an.
    Damals in Oaxaca bestand sie darauf, dieses schreckliche Ding mitzunehmen. Wir stiegen damit in den Bus und nahmen es bis in diese Stadt mit, bis in dieses Zimmer.«
    »Der Nagual und Genaro waren fort, auf Reisen«, sagte la Gorda. »Da wurde ich vorwitzig, steckte meinen Finger durch das Loch, und ich merkte, daß der Stein so zurechtgehauen war, daß man ihn in der hohlen Hand halten konnte. Sofort spürte ich das Gefühl dessen, der diesen Stein irgendwann einmal in der Hand gehalten hatte. Es war ein Kraft-Stein. Meine Stimmung schlug um. Ich bekam es mit der Angst. Irgend etwas Schreckliches
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