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Die Kunst des Pirschens

Titel: Die Kunst des Pirschens
Autoren: Carlos Castaneda
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sich anzupassen, und ich sah zwei Aspekte der Absicht vor mir, zwei Bilder gleichzeitig. Ich sah ihre physischen Leiber und auch ihre Leuchtkraft. Die beiden Bilder waren nicht überlagert, sondern getrennt, und doch konnte ich nicht herausfinden, wie dies geschah. Ich hatte eindeutig zwei Gesichtsfelder, das Sehen hatte gewiß mit meinen Augen zu tun, und doch geschah es unabhängig von ihnen. Wenn ich meine Augen schloß, konnte ich noch immer die leuchtenden Eier sehen, nicht aber ihre physischen Leiber.
    Für einen Moment hatte ich die ganz klare Empfindung, als wisse ich meine Aufmerksamkeit auf meine Leuchtkraft zu verschieben. Ich wußte auch, daß ich, um zur Ebene des Physischen zurückzukehren, lediglich meine Augen auf meinen Körper richten mußte.
    Als nächster kam Don Genaro zu mir und sagte, der Nagual Juan Matus habe mir als Abschiedsgabe die Pflicht geschenkt, Vicente habe mir die Herausforderung geschenkt, Silvio Manuel habe mir die Magie geschenkt, und er wolle mir den Humor schenken. Er musterte mich von oben bis unten und meinte, ich sei der traurigste Nagual, den er je gesehen habe. Er betrachtete die Lehrlinge und fand, daß uns nicht anderes übrigblieb, außer optimistisch zu bleiben und die Dinge von der positiven Seite zu betrachten. Er erzählte uns einen Witz über ein Mädchen vom Lande, das von einem Großstadt-Stenz verführt und entehrt worden war. Als sie dann am Hochzeitstag erfuhr, daß der Bräutigam das Weite gesucht hatte, hielt sie sich an dem nüchternen Gedanken aufrecht, daß immerhin nicht alles verloren war: die Jungfernschaft hatte sie eingebüßt, aber sie hatte noch nicht das Ferkel für den Hochzeitsschmaus geschlachtet.
    Don Juan sagte uns, das einzige, was uns über unsere Situation, die der Situation der entehrten Braut glich, hinweghelfen könnte, sei, unser Ferkel -was immer es sein mochte - festzuhalten und uns schief und krumm zu lachen. Nur durch das Lachen könnten wir unsere Situation
    verändern.
    Er forderte uns mit entsprechenden Kopf- und Handgebärden auf, ihm ein herzliches Haha! zu schenken. Der Anblick der Lehrlinge, wie sie zu lachen versuchten, war so lächerlich wie mein eigener Versuch. Plötzlich aber lachte ich, zusammen mit Don Juan und seinen Kriegern.
    Don Genaro, der immer darüber gewitzelt hatte, daß ich ein Dichter sei, bat mich, ein Gedicht vorzulesen. Er meinte, er wolle seine Empfindungen und Empfehlungen in jenes Gedicht
    zusammenfassen, das Leben, Tod und Lachen feiert. Er meinte einen Abschnitt aus José Gorostizas Gedicht »Tod ohne Ende«.
    Die Nagual-Frau reichte mir das Buch, und ich las jenen Abschnitt, den Don Juan und Don Genaro immer so geliebt hatten.

    O welch blinde Freude
    Welch Hunger, aufzubrauchen die Luft, die wir atmen,
    den Mund, das Auge, die Hand. Welch beißender Reiz
    restlos uns zu verausgaben in einem einzigen Gelächter. O dieser freche, beleidigende Tod, der uns ermordet aus weiter Ferne über der Lust, die wir am Sterben finden für eine Tasse Tee ...
    für eine schwache Liebkosung.

    Die Umstände, unter denen wir das Gedicht vernahmen, waren überwältigend. Ich empfand einen Schauder. Emilito und der Kurier Juan Tuma kamen zu mir. Sie sagten kein Wort. Ihre Augen glänzten wie schwarzer Marmor. All ihr Fühlen schien in ihren Augen konzentriert. Der Kurier Juan Tuma sagte mit sehr weicher Stimme, er habe mich einmal in seinem Haus in die Mysterien des Meskalito eingeführt, und dies sei nur ein Vorspiel zu einer anderen Station im Rad der Zeit gewesen, da er mich einst in das letzte Mysterium einführen werde.
    Emilito sagte - und seine Stimme war wie das Echo des Kuriers Juan Tuma - , daß sie beide darauf vertrauten, ich würde meine Aufgabe erfüllen. Sie würden warten, denn eines Tages würde ich zu ihnen stoßen. Der Kurier Juan Tuma fügte noch hinzu, der Adler habe mich mit dem Trupp des Nagual Juan Matus als meiner Rettungsmannschaft zusammengeführt. Sie umarmten mich noch einmal und flüsterten wie mit einer Stimme, ich solle auf mich selbst vertrauen.
    Nach den Kurieren kamen die Kriegerinnen zu mir. Jede umarmte mich und flüsterte mir einen guten Wunsch ins Ohr - sie wünschten mir Fülle und Erfüllung.
    Als letzte kam die Nagual-Frau zu mir. Sie setzte sich und nahm mich auf den Schoß, als ob ich ein Kind wäre. Sie verströmte Liebe und Reinheit. Ich war atemlos. Wir standen auf und gingen im Zimmer umher. Wir gingen umher und überdachten unser Schicksal. Unergründliche Kräfte
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