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Die Kunst des Pirschens

Titel: Die Kunst des Pirschens
Autoren: Carlos Castaneda
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über die parallelen Linien in die Ganzheit des eigenen Selbst einzugehen.
    Don Juan sagte mir, ich könnte bestenfalls nur einem der Lehrlinge helfen, und er habe la Gorda ausgesucht - wegen ihrer Tapferkeit, und weil ich schon mit ihr vertraut sei. Für die anderen, so sagte er, hätte ich keine Energie mehr übrig, und zwar aufgrund der Tatsache, daß ich andere Pflichten zu erfüllen, andere Taten zu vollbringen hätte, die meiner wahren Aufgabe entsprächen. Don Juan erklärte mir, daß jeder seiner eigenen Krieger um diese Aufgabe wisse, sie mir aber nicht offenbart habe, weil ich erst beweisen müsse, daß ich ihrer würdig sei. Die Tatsache, daß sie nun am Ende ihres Weges angelangt waren, und die Tatsache, daß ich getreulich meine Anweisungen befolgt hatte, gebot nun, daß diese Offenbarung stattfinde, wenn auch nur teilweise.
    Als für Don Juan die Zeit des Aufbruchs gekommen war, ließ er mich dies wissen, während ich mich in einem Zustand normaler Bewußtheit befand. Ich konnte den Sinn seiner Worte nicht erfassen. Bis ganz zum Schluß versuchte Don Juan mich zu bewegen, meine beiden Bewusstheitszustände zu vereinigen. Alles wäre so einfach gewesen, wenn ich nur zu dieser Fusion fähig gewesen wäre. Da ich es nicht war, und da seine Offenbarung mich nur rational berührte, ließ er mich die Bewusstheitsebene wechseln, damit es mir möglich wäre, das Ereignis in seiner umfassenderen Bedeutung zu ermessen. Er machte mich wiederholt darauf aufmerksam, daß es nur insofern vorteilhafter sei, im Zustand der linksseitigen Bewußtheit zu sein, als unser Erfassen der Dinge sich beschleunige. Es sei von Nachteil, weil es uns erlaube, uns mit unvorstellbarer Klarheit jeweils auf nur eine Sache zu konzentrieren; dies mache uns abhängig und verletzlich. Während wir uns in der Bewußtheit der linken Seite befinden, können wir nicht uns selbst gehören, und wir müssen von Kriegern gestützt werden, die die Ganzheit ihrer selbst erreicht haben und wissen, wie sie sich in einem solchen Zustand zu verhalten haben.
    La Gorda erzählte, daß der Nagual Juan Matus und Genaro eines Tages alle Lehrlinge in ihrem Haus versammelten. Der Nagual ließ sie in die linksseitige Bewußtheit überwechseln und sagte ihnen, daß seine Zeit auf Erden zu Ende sei.
    Zuerst wollte la Gorda ihm nicht glauben. Sie meinte, er wolle sie alle aufrütteln, damit sie wie Krieger handelten. Dann aber erkannten sie in seinen Augen ein Leuchten, wie sie es noch nie vorher gesehen hatten.
    Nachdem er sie alle in die andere Bewußtheit versetzt hatte, sprach er mit jedem einzelnen von ihnen und gab ihnen noch einmal ein Resümee seiner Lehren, wie um alle die Konzepte und Methoden aufzufrischen, mit denen er sie vertraut gemacht hatte. Bei mir machte er es genauso.
    Unsere Verabredung fand statt, einen Tag bevor ich ihn zum letzten Mal sehen sollte. In meinem Fall gab er mir dieses Resümee in beiden Bewusstheitszuständen. Ja, er ließ mich sogar mehrmals hin und wieder her wechseln, wie um sicherzustellen, daß ich in beiden Zuständen alles erfaßt hatte.
    Anfangs war ich unfähig gewesen, mich zu erinnern, was nach diesem Resümee geschehen war.
    Eines Tages endlich gelang es la Gorda, die Schranken meiner Erinnerung zu durchbrechen. Sie sagte mir, sie sei in meinem Geist, so als könne sie in mir lesen. Was mein Gedächtnis blockiere, so meinte sie, sei meine Angst, mich an meinen Schmerz zu erinnern. Und was in jener Nacht, bevor sie fortgingen, in Silvio Manuels Haus geschah, sei unauflösbar mit meiner Angst verbunden. Sie sagte, sie habe das klarste Gefühl, daß ich Angst hätte, aber sie kenne nicht den Grund warum. Auch sie könne sich nicht genau erinnern, was in diesem Haus stattgefunden hatte, besonders in dem Zimmer, in dem wir saßen.
    Noch während la Gorda sprach, war mir, als stürze ich in einen Abgrund. Ich erkannte, daß irgend etwas in mir versuchte, eine Verbindung zwischen zwei separaten Ereignissen herzustellen, die ich in meinen beiden Bewusstheitszuständen erlebt hatte. Auf meiner linken Seite hatte ich die verschlossenen Erinnerungen an Don Juan und seinen Kriegertrupp an ihrem letzten Tag auf Erden, auf meiner rechten Seite hatte ich die Erinnerung, an diesem Tag in einen Abgrund gesprungen zu sein. Als ich versuchte, meine beiden Seiten zu vereinen, erlebte ich ein totales Gefühl physischer Spaltung. Meine Knie gaben nach, und ich fiel auf den Boden.
    Als ich la Gorda mein Erlebnis und meine Deutung desselben
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