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Die Kunst des Pirschens

Titel: Die Kunst des Pirschens
Autoren: Carlos Castaneda
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erzählte, meinte sie, daß das, was in meiner rechtsseitigen Bewußtheit aufgestiegen war, zweifellos die gleiche Erinnerung sein mußte, die ihr gekommen war, während ich sprach. Sie hatte sich gerade daran erinnert, daß wir noch einen Versuch machten, mit dem Nagual Juan Matus und seinem Trupp die parallelen Linien zu überschreiten. Sie sagte, wir beiden hätten zusammen mit den übrigen Lehrlingen noch einmal versucht, die Brücke zu überschreiten.
    Ich konnte mich nicht auf diese Erinnerung einstellen. Anscheinend gab es eine hemmende Kraft, die mich hinderte, meine damit verbundenen Gedanken und Gefühle zu ordnen. La Gorda sagte, daß Silvio Manuel dem Nagual Juan Matus aufgetragen habe, mich und alle Lehrlinge auf diese Überschreitung vorzubereiten. Er wollte mich nicht in der Welt zurücklassen, weil er meinte, ich hätte keine Chance, meine Aufgabe zu erfüllen. Der Nagual war darin anderer Meinung, aber er führte die Vorbereitungen durch, gleichgültig wie er darüber dachte.
    La Gorda sagte mir, sie habe sich daran erinnert, wie ich mit dem Auto zu ihrem Haus gekommen sei, um sie und die anderen Lehrlinge zu Silvio Manuels Haus zu bringen. Dort blieben sie, während ich zum Nagual Juan Matus und zu Don Genaro zurückfuhr, um mich auf die Überschreitung vorzubereiten.
    Ich konnte mich überhaupt nicht daran erinnern. Sie verlangte, ich solle mich ihrer, da wir so eng miteinander verbunden seien, als Führerin bedienen. Sie versicherte mir, ich könne ihre Gedanken lesen und darin etwas finden, das meine vollständige Erinnerung wecken würde.
    Meine Gedanken waren in wildem Aufruhr. Ein Angstgefühl hinderte mich sogar daran, mich auf das zu konzentrieren, was la Gorda sagte. Sie redete weiter und schilderte mir, was sie von unserem zweiten Versuch, jene Brücke zu überschreiten, in der Erinnerung behalten hatte. Sie sagte, Silvio Manuel habe ihnen eine flammende Rede gehalten und ihnen gesagt, daß sie nun genügend Übung hätten, um noch einmal eine Überschreitung zu versuchen; um ganz in das andere Selbst einzugehen, brauchten sie nur die Absicht ihrer ersten Aufmerksamkeit aufzugeben. Wenn sie erst einmal in der Bewußtheit des anderen Selbst wären, dann würde die Kraft des Nagual Juan Matus und seines Trupps sie aufheben und sie mit größter Leichtigkeit in die dritte Aufmerksamkeit versetzen - was aber nicht geschehen konnte, solange sie in ihrem normalen Bewusstheitszustand waren.
    Irgendwann hörte ich la Gorda nicht mehr zu. Der Klang ihrer Stimme war tatsächlich wie ein Vehikel für mich. Plötzlich tauchte in meinem Geist die Erinnerung an das ganze Ereignis auf.
    Ich schwankte unter der Wucht des Erinnerns. La Gorda hörte auf zu sprechen, und als ich ihr meine Erinnerung schilderte, erinnerte auch sie sich an alles. So hatten wir die letzten Bruchstücke unserer separaten Erinnerungen an unsere zwei Bewußheitszustände zusammengefügt.
    Ich erinnerte mich daran, daß Don Juan und Don Genaro mich auf die Überschreitung vorbereiteten, während ich mich im normalen Bewusstheitszustand befand. Auf rationaler Ebene dachte ich, sie bereiteten mich auf den Sprung in einen Abgrund vor.
    La Gorda erinnerte sich, daß Silvio Manuel sie, um sie auf die Überschreitung vorzubereiten, in Ledergurten an den Dachbalken hochgezogen hatte. Eine solche Vorrichtung gab es in jedem Zimmer seines Hauses. Daran hingen die Lehrlinge fast den ganzen Tag.
    La Gorda stellte fest, daß es eine gute Sache sei, so ein Geschirr im Zimmer zu haben. Die Genaros waren zufällig, ohne recht zu wissen, was sie taten, auf so etwas wie die Erinnerung an diese Geschirre gestoßen, an denen sie aufgehängt worden waren, und hatten so ihr Spiel erfunden. Es war ein Spiel, das die heilende und reinigende Wirkung des Schwebens über dem Boden mit der Möglichkeit kombinierte, jene Konzentration zu üben, die man braucht, um von der rechtsseitigen zur linksseitigen Bewußtheit überzuwechseln. So war ihr Spiel tatsächlich ein Mittel, das ihnen half, sich zu erinnern.
    La Gorda sagte, nachdem sie und alle Lehrlinge den ganzen Tag in der Luft gehangen hatten, habe Silvio Manuel sie in der Abenddämmerung heruntergelassen. Sie gingen mit ihm zur Brücke und warteten dort mit den übrigen Mitgliedern des Trupps, bis der Nagual Juan Matus und Genaro mit mir herbeikamen. Mich vorzubereiten, so erklärte ihnen der Nagual Juan Matus, habe länger gedauert, als er erwartet hatte.
    Ich erinnerte mich daran, daß Don Juan und
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