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Die Kunst des Pirschens

Titel: Die Kunst des Pirschens
Autoren: Carlos Castaneda
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Pflicht als Krieger, und daneben sei nichts von Bedeutung, denn ich würde zurückbleiben, um eine höchst ungewisse Aufgabe zu erfüllen. Nachdem ich mein Leben bereits dahingegeben hätte, bleibe ihnen nichts mehr zu sagen, außer, ich solle mein Bestes tun. Und ich könne ihnen nichts anderes sagen, außer, daß ich verstanden und mein Schicksal akzeptiert hätte.
    Als nächster kam Vicente zu mir. Er sprach sehr leise. Er sagte, es sei die Herausforderung eines Kriegers, ein sehr empfindliches Gleichgewicht der positiven und negativen Kräfte zu erreichen. Diese Herausforderung bedeute nicht, daß ein Krieger danach streben sollte, alles unter Kontrolle zu haben, sondern, daß ein Krieger danach streben sollte, jeder vorstellbaren Situation - den erwarteten wie den unerwarteten - mit gleicher Tüchtigkeit zu begegnen. Wenn man nur unter vollkommenen Bedingungen vollkommen sei, dann sei man ein Papierkrieger.
    Meine Herausforderung sei, zurückbleiben zu müssen; die ihre sei, vorwärts in das Unbekannte zu schreiten. Beide Herausforderungen seien verzehrend. Für den Krieger komme die Erregung, auf der Stelle zu verweilen, der Erregung der Reise gleich. Beide seien ein und dasselbe, weil beide die Erfüllung einer heiligen Hoffnung bedeuteten.
    Als nächster kam Silvio Manuel zu mir; ihm ging es mehr um praktische Dinge. Er vertraute mir eine Formel an, einen Zauberspruch für Gelegenheiten, da meine Aufgabe größer als meine Kraft wäre; es war die Beschwörungsformel, die mir in den Sinn kam, als ich mich zum erstenmal an die Nagual-Frau erinnerte.

    Ich bin bereits der Kraft anheimgegeben, die mein Schicksal regiert.

    Und ich klammere mich an nichts, daher will ich nichts verteidigen.

    Ich habe keine Gedanken, daher will ich sehen.

    Ich fürchte nichts, daher will ich mich meiner erinnern. Losgelöst und mit Leichtigkeit,

    Will ich an dem Adler vorbeischnellen, um frei zu sein.

    Ya me di poder que a mi destino rige.

    No me agarro ya de nada, para asi no tener nada que defender. No tengo pensamientos, para

    asi poder ver.

    No temo ya a nada, para asi poder acordarme de mi. Sereno y desprendido,

    me dejará el águila pasar a la libertad.

    Dann sagte er mir, er wolle mir ein praktisches Manöver der zweiten Aufmerksamkeit offenbaren, und sogleich verwandelte er sich in ein leuchtendes Ei. Er kehrte in seine normale Gestalt zurück und wiederholte diese Verwandlung noch drei oder vier Male. Ich verstand ganz genau, was er machte. Er brauchte es mir nicht zu erklären, doch ich konnte nicht sagen, was ich wußte.
    Silvio Manuel lächelte, er schien mein Problem zu erkennen. Er sagte, es brauche gewaltige Kraft, um die Absicht des alltäglichen Lebens aufzugeben. Das Geheimnis, das er mir gerade offenbart hatte, war, wie man das Aufgeben dieser Absicht beschleunigen konnte. Um zu tun, was er getan hatte, mußte man seine Aufmerksamkeit auf die leuchtende Schale heften.
    Er verwandelte sich noch einmal in ein leuchtendes Ei, und da wurde mir etwas klar, was ich schon die ganze Zeit gewußt hatte. Silvio Manuels Augen verdrehten sich einen Moment und richteten sich auf den Punkt der zweiten Aufmerksamkeit. Den Kopf hielt er aufgerichtet, als blicke er gerade vor sich hin, nur seine Augen blickten schräg nach unten. Ein Krieger, so sagte er, müsse die Absicht beschwören. Das Geheimnis sei der Blick. Die Augen rufen die Absicht herbei.
    An diesem Punkt wurde ich ganz euphorisch. Endlich gelang es mir, an etwas zu denken, was ich wußte, ohne es wirklich zu wissen. Der Grund, warum das Sehen ein visueller Vorgang zu sein scheint, liegt darin, daß wir die Augen brauchen, um die Absicht anzuvisieren. Don Juan und die Krieger seines Trupps verstanden es, ihre Augen zu benutzen, um einen anderen Aspekt der Absicht zu erhaschen, und diesen Akt nannten sie Sehen. Was Silvio Manuel mir gerade gezeigt hatte, war die eigentliche Funktion der Augen, nämlich die Absicht einzufangen.
    Nun benutzte ich ganz bewußt meine Augen, um meine Absicht zu beschwören. Ich visierte den Punkt der zweiten Aufmerksamkeit an. Auf einmal waren Don Juan, seine Krieger, Dofia
    Soledad und Eligio leuchtende Eier, nicht aber la Gorda, die drei Schwesterchen und die Genaros. Ich ließ weiter meine Augen zwischen den Lichtklumpen und den Menschen hin und her wandern, bis ich ein Knacken im Halsansatz hörte und alle im Raum leuchtende Eier waren.
    Eine Weile glaubte ich sie nicht unterscheiden zu können, aber dann schienen meine Augen
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