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Die Kultur der Reparatur (German Edition)

Die Kultur der Reparatur (German Edition)

Titel: Die Kultur der Reparatur (German Edition)
Autoren: Wolfgang M. Heckl
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widmet, überzeugt.
    Ohne das Reparaturprinzip, ohne die Selbstheilungskräfte der Natur wäre kein Lebewesen – einschließlich des Menschen – fähig zu existieren. Denn ständig passieren Fehler beim Ablesen des genetischen Codes in unseren Zellen, entstehen Schäden an unserer DNA, zum Beispiel durch kosmische Höhenstrahlung (oder durch hochenergetisches Licht: Vorsicht vor zu langen Solariumbesuchen). Doch zugleich wird in jeder Sekunde, in jeder Zelle mindestens ein fehlerhaftes Molekül innerhalb der DNA-Kette repariert. Dazu gibt es Reparaturenzyme, eine ganze Klasse von speziellen Proteinen, mit denen sich das Leben gleichsam selbst repariert.

Die Grenzen der Reparatur
    Die Natur repariert, weil etwas unvollständig, weil etwas nicht perfekt, weil etwas kaputt gegangen ist. Ihr Ziel ist aber nicht absolute Vollständigkeit oder Perfektion, denn die würde ein System zur Folge haben, das nicht zur Weiterentwicklung fähig ist. Die eingebauten Fehlerquellen der Natur bilden die Grundlage für Mutationen, für Veränderungen unseres Erbguts. Die meisten Mutationen sind für Pflanzen, Tiere und Menschen zwar schädlich, manche haben sich jedoch als fundamentaler Überlebensvorteil erwiesen. Sie eröffneten neue Möglichkeiten, sodass sich das Leben weiterentwickeln und neue Seinsformen hervorbringen konnte. Auf diese Weise konnte sich im Laufe der Evolution die Vielfalt in der belebten Natur entwickeln. Und die Natur repariert immer weiter, weil es immer Fehler, Mutationen geben wird.
    Auf der Ebene des einzelnen Organismus findet die Reparaturfähigkeit jedoch immer auch ein Ende. Krankheiten entstehen. Fehler im Aufbau und in der Funktion eines lebenden Systems sind ab einem bestimmten Zeitpunkt nur noch begrenzt zu beheben. Warum müssen wir sterben und können nicht auf ewig weiterleben? Weil die Reparatur natürliche Grenzen hat. Eine moderne Theorie dazu besagt: Je älter die Chromosomen sind, also jene proteinverpackten DNA-Strukturen, die die Gene und die Erbinformationen enthalten, umso mehr Fehler schleichen sich bei ihrer Reproduktion ein. Besonders ist dies bei den Telomeren festzustellen, den aus Proteinen bestehenden Enden der Chromosomen. Mit anderen Worten: Die Reparaturenzyme schwächeln, sind nicht mehr voll einsatzfähig. Das Alter eines Menschen kann man dann auch daran ablesen, wie viele dieser Baufehler sich an den Chromosomenenden akkumuliert haben. Und die Zahl dieser Fehler können wir beeinflussen, etwa im Laufe des Lebens beschleunigen, weil wir radioaktiver Strahlung oder chemischen Giften wie Nikotin ausgesetzt sind. Im Gegenzug können wir durch einen gesunden Lebensstil, durch gesunde Ernährung und eine Balance von Aktivität und Kontemplation einiges für unsere Lebensspanne tun. Wir können die Reparaturfähigkeit prolongieren.
    Neben der Reparatur findet in der Natur auch Recycling statt. Die Bausteine, aus denen die Natur besteht, sind, nachdem sie einst im Sterninneren entstanden und durch Supernova-Explosionen in Form von Sternenstaub im Universum verteilt wurden, irgendwann auf der Erde akkumuliert und zum Aufbau der natürlichen Dinge verwendet worden. Dabei hat sich lebende Materie auf schwache chemische Bindungen, etwa Wasserstoffbrückenbindungen, als Konstruktionsprinzip eingelassen. Dies ist sehr vorteilhaft, weil es die Reparaturfähigkeit und das Neuentstehen, mithin die Fehlertoleranz bei der Selbstorganisation, erst ermöglicht. Der große Nachteil dieser Art von Bindungen ist, dass sie auch wieder abgebaut werden. Bei uns Menschen passiert das konsequent nach Lebensende. Für das Leben insgesamt kann aus uns also wieder Neues entstehen. Wir werden gewissermaßen „recycelt“. Vielleicht ist das die rein materialistische Basis für eine anders verstandene Idee der Wiedergeburt.
    Das Konzept der Reparatur hat sich nicht nur in der Natur, sondern auch in der Menschheitsgeschichte bewährt. Von den Neanderthalern bis in die Neuzeit: Gebrauchsgegenstände wie Werkzeuge waren wertvoll, wurden so lange wie möglich bewahrt. Doch dieser enge emotionale Kontakt zu den Produkten ist uns in den letzten Jahrzehnten verloren gegangen. Davon soll das nächste Kapitel handeln.

Der Verlust einer elementaren Fähigkeit
Verlorenes Wissen: Die Gesamtschau der Dinge
    Kosmos – Entwurf einer physischen Weltbeschreibung lautet der Titel des fünfbändigen Werks Alexander von Humboldts (1769–1859), in dem er dem damaligen Leser jene „Gesamtschau“ vermitteln wollte, „die
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