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Die Kultur der Reparatur (German Edition)

Die Kultur der Reparatur (German Edition)

Titel: Die Kultur der Reparatur (German Edition)
Autoren: Wolfgang M. Heckl
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Technologien nicht möglichist. Vertrauen entsteht am besten durch den persönlichen Austausch von Argumenten.
    Neben Humboldt steht daher auch Oskar von Miller (1855–1934), der in München geborene Bauingenieur und Begründer des Deutschen Museums, für die Idee der Gesamtschau: mit dem Plan, fünfzig Bereiche der Naturwissenschaft und Technik an einem Ort zu versammeln, um den Menschen die fächerübergreifenden Zusammenhänge von Erkenntnisfortschritt begreifbar zu machen. Eine Museumsgestaltung, wie man sie heute kaum mehr verwirklichen könnte, allein schon weil es extrem schwierig ist, die riesige Menge an Detailwissen heutiger Fachdisziplinen samt Originalexponaten an einem Ort in einem Konzept unterzubringen. Nur die paradigmatische Auswahl kann in heutigen Museen sicherstellen, dass Menschen die Zusammenhänge einer immer komplizierter werdenden Welt verstehen. Während das Internet die Informationen in unüberschaubarer Menge und unterschiedlicher Qualität liefert, ist dort, wo sich Menschen beim realen Exponat versammeln, die persönliche Begegnung entscheidend: die mit den Objekten und mit den Erklärern wie den genannten Wissenschaftlern oder Experten. Aus dieser Begegnung können dann Verständnis, Erkenntnis und letztlich Teilhabe entstehen. Die vielen zukünftigen Herausforderungen, welche auf die Menschheit zukommen, werden nur durch solch ein enges Zusammenwirken von Wissenschaft und Gesellschaft zu meistern sein, das ist meine feste Überzeugung.
    Oskar von Miller schrieb zwar nicht wie Humboldt ein mehrbändiges Werk, aber er übertrug gewissermaßen dessen Kosmos-Gedanken auf einen Bildungsort. Im Deutschen Museum ist die Gesamtschau der Dinge verwirklicht: vom Bergwerk, wo die Materialien abgebaut, also die Ressourcen geholt werden, bis zur Verarbeitung in den Materialwissenschaften, den Werkzeugen und Maschinen, die man dazu braucht, der Elektrizität, der Stromübertragung und der konkreten Anwendung: in Produkten der Medizin, Nanotechnologie und Biotechnologie – aber auch der Pharmazie, Lebensmittelindustrie oder Brauereiwirtschaft. All dem liegen die Erkenntnisse der Naturwissenschaft, allen voran der Physik, der Chemie und der Biologie zugrunde. Alles hängt miteinander zusammen, die Abteilungen verweisen aufeinander, wobei die Kreisläufe im Museum zeigen, dass alles, intellektuell und im materiellen Sinne, auf den gleichen Ressourcen aufbaut und die eine Technik bei der anderen gebraucht wird.

Verlorene Fähigkeit: Was Spezialisten nicht wissen können
    Jemand, der an einem Produkt ständig nur eine Schraube montiert, kann sich nicht für das Gesamtprodukt verantwortlich fühlen. Die Gesamtschau der Dinge ist irgendwann während der Zeit der anlaufenden Industrialisierung durch das Zergliedern der Herstellungsprozesse in Einzelabläufe in den Hintergrund getreten. Ein Arbeiter in der Automobilindustrie, der für eine bestimmte Schweißnaht zuständig ist, wird beim Anblick eines Motors nur die Schultern zucken: „Wie der montiert wird, weiß ich nicht, ich mache ja Schweißnähte.“ Auf diese Weise hat man sich vom Humboldt'schen Ideal entfernt.
    Die zu ihrer Zeit sehr erfolgreiche Einführung des Fließbands hat exemplarisch zur Trennung des Tuns vom Denken in Zusammenhängen geführt. Ein Arbeiter bei Henry Ford musste nicht mehr wissen, wie ein Automobil im Gesamten funktioniert, wie man es baut, er musste nicht mehr überlegen, wie das eine in das andere überging, er musste nichts weiter tun, als allein einen Handgriff mehr oder weniger auswendig zu lernen, eine Bewegung auszuführen. Eine aus dem Gesamtzusammenhang herausgerissene eingeschränkte Tätigkeit war das Einzige, was er als Leistung auszuführen hatte. Charlie Chaplin demonstrierte in seinem Film Moderne Zeiten (1936), in dem er selbst eine Figur des Taylorismus darstellt, die Absurdität der Fließbandproduktion: Anfangs klappt es bei ihm noch, im Rhythmus der Maschinen den Schraubenschlüssel auf dem laufenden Band immer wieder in einer einzigen Bewegung anzusetzen. Doch dann gerät er in die Fänge der Maschine – um schließlich, wieder ausgespuckt und auf die Straße rennend, mit seinem Arbeitswerkzeug noch an einer Frau weiter schrauben zu wollen ...
    Es geht mir nicht darum, Fließbandtätigkeiten oder die arbeitsteilige Produktionsweise abzulehnen. Aber manche Übertreibung hat eben auch negative Konsequenzen. Das Spezialistentum treibt unbestritten seltsame Blüten, auch in unserer heutigen
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