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Die Kultur der Reparatur (German Edition)

Die Kultur der Reparatur (German Edition)

Titel: Die Kultur der Reparatur (German Edition)
Autoren: Wolfgang M. Heckl
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Existenz widerlegte später der französische Chemiker Louis Pasteur. Er zeigte, dass sich bei sterilem Material keine Lebensspuren entwickeln, und gewann damit einen von der französischen Akademie der Wissenschaften ausgelobten Preis, der ein für alle Mal die Frage nach der spontanen Lebensentstehung aus nicht lebendem Material klären wollte. Wenn man so will, bekam er ihn zu Unrecht, denn es musste ja in ferner Vergangenheit, auf der frühen Erde, doch spontan Leben entstanden sein, was Pasteur gerade nicht zu erklären vermochte.
    Doch schauen wir uns auf der Suche nach „Lebenskräften“ einmal einen Baum an. Woher wissen Bäume, dass Frühjahr ist und sie aussprießen sollen? Wir Menschen können in den Kalender schauen, Bäume können das nicht. Liegt es daran, dass es draußen heller und wärmer geworden ist? Hat ein Baum ein Thermometer? Woher weiß er das alles? Und wieso wächst ein Edelweiß in einer kargen Berglandschaft? In der Erde liegen doch nur beliebig verteilt Moleküle oder Atome herum, und in der Luft liegt der Kohlenstoff ungeordnet in Form von Kohlendioxidmolekülen vor. Oder man kann sagen: Offensichtlich ist das Edelweiß dazu in der Lage, Moleküle aus der Luft (Kohlendioxid) und Atome aus dem Boden (Wasser, Mineralien) sozu dirigieren – also zu demorpheln, wie der bayerische Kabarettist Gerhard Polt vielleicht sagen würde –, dass daraus ein Edelweiß wird. Und das ist nicht so ganz einfach, denn eine Farbe wie Gelb, Weiß oder Rot entsteht nicht einfach durch ein einzelnes Atom, sondern im Zusammenspiel mit mehreren. Auch ob die Blüten und Blätter einer Pflanze eher weich oder hart werden, wird nicht über ein Atom entschieden, sondern wieder aus der Kombination mehrerer. Wie schafft die Pflanze das alles? Man könnte meinen, dass „alles in ihren Genen“ festgelegt, determiniert und vorausbestimmt ist, dass in der DNA fixiert ist, dass das Weiß einer Edelweißpflanze oder das Blau einer Glockenblume codiert sind. Doch die Genetik liefert nur grobe Anweisungen, die auf die wunderbare Fähigkeit zur Selbstorganisation angewiesen sind. Die Gene bestimmen nicht, wo jedes einzelne Atom seinen Platz im dreidimensionalen Raum zu finden hat. Es ist in ihnen kein Anordnungsbefehl festgelegt, kein Computerprogrammcode für jeden Baustein. Der genetische Code ist mehr wie eine Blaupause. Er gibt vor, dass zum Beispiel eine Zellmembran hochgezogen werden soll, jedoch nicht, wo jedes sie aufbauende Lipid und Protein genau hinkommt.
    Die große wissenschaftliche Frage, die Frage nach der Entstehung von Leben, kann die Genetik nicht beantworten. Die genaue Antwort zu finden ist ein besonders spannendes Forschungsthema, verborgen liegt sie im Prinzip der Selbstorganisation und der Reparatur: Auf der frühen Erde gab es eine Atmosphäre mit vielen chemischen Zutaten, Energie war zum Beispiel in Form von Erdwärme oder Blitzen vorhanden (ein Szenario, das die beiden amerikanischen Chemiker Harold Clayton Urey und Stanley Miller in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts in einem Glaskolben im Labor simuliert haben). Viele Moleküle trafen aufeinander, verbanden sich nach den chemischen Regeln und dem Prinzip der Energieminimierung, und am Ende entstanden unter den richtigen Rahmenbedingungen hinsichtlich Dichte, Konzentration, Temperatur usw. ganz zufällig die als Voraussetzung für die Entstehung von Leben notwendigen DNA-Basen, die vier Buchstaben des genetischen Codes. Theoretisch hätten sich Milliarden von anderen Molekülkombinationen bilden können. Doch es waren genau diese vier. Warum? Die schlichte Antwort: Sie waren energetisch äußerst günstig. Die anderen Kombinationen, die ebenfalls entstanden, waren fehlerhaft, weshalb sie während des spontanen Syntheseprozesses korrigiert, „repariert“ und zu den „richtigen“ vier Molekülen wurden: denen mit der ungeheuren Fähigkeit, die Basis eines Erkennungssystems zu bilden, das Kodierung, Aufbau und Reproduktion von Aminosäuren und Proteinen und damit die zentrale Voraussetzung für die Entstehung und den Erhalt von Leben ermöglicht.
    Weil die Prinzipien der Selbstorganisation und Reparatur einschließlich des Energieminimierungsprinzips universeller Natur sind, könnte dieser Prozess übrigens auch woanders im Universum stattgefunden haben oder gerade stattfinden. Davon jedenfalls bin ich wie auch meine Kollegen der Planetary Society in Pasadena, die sich der Erforschung von extraterrestrischen Lebensprinzipien
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