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Die Kreuzzüge

Die Kreuzzüge

Titel: Die Kreuzzüge
Autoren: Thomas Asbridge , Susanne Held
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gewisse Glaubwürdigkeit zu verleihen, indem sie darauf hinweisen, dass Israel ungefähr dasselbe Territorium für sich in Anspruch nimmt wie vor Jahrhunderten das fränkische Königreich Jerusalem. In den letzten Jahrzehnten hat sich allerdings der geographische Bezugsrahmen dieser Ideologie rapide ausgedehnt. Neue vom Westen, vor allem von den USA, ausgehende Interventionen im Nahen Osten und in Zentralasien wurden dem arabisch-israelischen Konflikt und der Notlage der Palästinenser zugesellt und vergrößerten die Masse der von der »Kreuzfahrer-Zionisten-Allianz« begangenen Untaten. Dazu gehören die beiden Golfkriege, der Kampf gegen die Taliban und al-Qaida in Afganistan, und die Stationierung von US-Truppen – von Osama bin Laden als »Kreuzfahrer-Heere« bezeichnet, »die sich wie Heuschrecken ausbreiten« – im heiligen muslimischen Territorium Saudi-Arabiens. 15
    Der andere Pfeiler des »Kreuzzugsparallelismus« ist die angebliche Fähigkeit des Islams, aus der mittelalterlichen Epoche entscheidende Lektionen für die Gegenwart lernen zu können. 1963 erschien eine zweibändige Geschichte der Kreuzzüge auf Arabisch, in der der muslimische Autor Said Ashur behauptet, dass die Situation der modernen Muslime sich kaum von derjenigen ihrer Glaubensbrüder im Mittelalter unterscheidet; daher »sahen wir uns genötigt, die Entwicklung der Kreuzzüge minutiös und wissenschaftlich zu erforschen«. Zahlreiche islamische Ideologen benutzten den mittelalterlichen Krieg um das Heilige Land als Inspirationsquelle. Einige plädierten dafür, den Islam, wenn nötig mit Gewalt, zu einen, und stellten die unbeirrbare, unbarmherzige Praktizierung des Dschihads , wie sie angeblich die Muslime des Mittelalters geübt hatten, als Ideal und Vorbild dar. Viele Propagandisten weisen außerdem darauf hin, dass der Islam sich bereitwillig und mit großer Geduld darauf einstellen muss, einen langen Kampf zu kämpfen – immerhin dauerte es 88 Jahre, bis Jerusalem von den Franken zurückerobert, und fast zwei Jahrhunderte, bis Outremer endgültig vernichtet war. Eine sehr große Rolle spielen die muslimischen »Helden« der Kreuzzugsära, die zu leuchtenden Vorbildern erhoben werden, allen voran Saladin. Im Lauf des 20. Jahrhunderts bildete sich um den ajjubidischen Sultan als der zentralen islamischen Lichtgestalt im mittelalterlichen Kampf um das Heilige Land ein regelrechter Mythos heraus. Mittlerweile ist es Saladin und [726] nicht mehr Sultan Baibars, der in der arabisch sprechenden Welt Kultstatus genießt. Sein Sieg über die abendländischen Christen in der Schlacht bei Hattin gilt als einer der größten Siege in der muslimischen Geschichte, aber auch die anschließende Wiedereroberung Jerusalems durch Saladin ist Gegenstand höchsten panislamischen Stolzes. 16
    Arabischer Nationalismus und Islamismus
    Auf der Grundlage der Ideen des arabischen Nationalismus und des Islamismus wurden verschiedene Vorstellungen konstruiert – etwa die einer wiederbelebten Offensive gegen die Kreuzfahrer, als deren instruktives Vorbild die Ereignisse der Vergangenheit dienen sollten. Die eigentliche Leistung dieser manipulativen Annäherung an die Vergangenheit wird allerdings erst in ihrer bemerkenswerten Flexibilität deutlich: Denn immerhin machen sich die Anhänger zweier diametral entgegengesetzter muslimischer Ideologien – die arabischen Nationalisten und die Islamisten – mit gleichem Enthusiasmus die Kreuzzugsgeschichte zunutze.
    Die Grundsätze des arabischen Nationalismus haben überwiegend säkularen Charakter: Gefordert wird eine Trennung der geistigen von der weltlichen Autorität; die Regierung der muslimischen arabischen Staaten soll in der Hand politischer, nicht religiöser Führer liegen. Die Kreuzzüge in ihrer Eigenschaft als Religionskriege sind für die Führerpersönlichkeiten aus dem Kreis der arabischen Nationalisten daher kaum von Interesse, viel wichtiger ist die Vorstellung, dass einer auswärtigen imperialistischen Macht die Stirn geboten wird; außerdem schlachten sie das Propagandapotential aus, das der Vergleich zwischen der eigenen Vita und den Leistungen Saladins bietet. Gamal Abdel Nasser, der Premierminister (und spätere Präsident) Ägyptens zwischen 1954 und 1970, war einer der ersten Vertreter des arabischen Nationalismus. Er verkündete, dass die Gründung des Staates Israel »eine Neuauflage der Kreuzzüge« darstelle, entstanden aus dem »Pakt zwischen Imperialismus und Zionismus«. Nasser
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