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Die Kreuzzüge

Die Kreuzzüge

Titel: Die Kreuzzüge
Autoren: Thomas Asbridge , Susanne Held
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Romantik eine idealisierte Vision des Mittelalters entwarf. Angestoßen wurde diese Strömung durch die äußerst populären und einflussreichen Werke des englischen Schriftstellers Sir Walter Scott. Sein Roman The Talisman (1825; dt.: Der Talisman oder Richard Löwenherz in Palästina ), der zur Zeit des dritten Kreuzzugs spielt, stellte Saladin als »edlen Wilden«, als ritterlich und weise dar, während König Richard I. als reichlich impulsiver Haudegen auftritt. Scotts Geschichte, weitere Romane aus seiner Feder wie etwa Ivanhoe (1819), aber auch die Werke anderer Autoren schufen eine Vision von den Kreuzzügen als kühnen Abenteuern. 9
    Ungefähr zur selben Zeit entwickelten einige europäische Gelehrte aus dem Wunsch, die moderne Welt in der Vergangenheit gespiegelt zu finden, die Methode des historischen Parallelismus: Sie beschrieben die [720] Kreuzzüge und die Entstehung der Kreuzfahrerstaaten in triumphalistischen Tönen als löbliche Vorübungen in Sachen Kolonialismus. Damit waren erste Schritte in eine Richtung getan, in der die Kreuzzugsbewegung (und damit auch der Begriff »Kreuzzug« selbst) aus ihrem geist-
lich-religiösen Kontext herausgelöst wurde: Man rühmte nun den Krieg um das Heilige Land als primär weltliche Angelegenheit. Der französische Historiker François Michaud veröffentlichte eine viel gelesene, dreibändige Darstellung dieser heiligen Kriege (und in Verbindung damit noch vier weitere Bände mit Quellenmaterial), die nur so strotzt von irreführenden Behauptungen und fehlerhaften Darstellungen der Geschichte. Michaud zollte dem »Ruhm« Beifall, den sich die Kreuzfahrer verdient hätten, und stellt fest, ihr Ziel sei »die Eroberung und Zivilisierung Asiens« gewesen. Außerdem präsentiert er seine Nation als geistiges Zentrum der Bewegung und behauptet, dass »Frankreich eines Tages das Vorbild und der Mittelpunkt der europäischen Kultur werden sollte. Die heiligen Kriege trugen viel zu dieser glücklichen Entwicklung bei, das kann man vom ersten Kreuzzug an beobachten.« Michauds Veröffentlichungen waren sowohl Produkt als auch Stimulans machtvoller nationalistischer Gefühle in Frankreich – sie bedienten das Bedürfnis, eine nationale Identität zu formulieren, die den Krieg um das Heilige Land in eine fingierte Rekonstruktion »französischer« Geschichte einarbeitete. 10
    Doch war diese romantische, nationalistisch gefärbte Begeisterung für die Kreuzzüge durchaus keine Spezialität der Franzosen. Der neu gegründete Staat Belgien erklärte Gottfried von Bouillon zu seinem Helden, und auf der anderen Seite des Ärmelkanals wurde Richard Löwenherz zu einer Ikone englischer Tapferkeit stilisiert. Beide Männer sind seit der Mitte des 19. Jahrhunderts in eindrucksvollen Reiterstatuen verewigt. Die Statue Gottfrieds steht auf der Grand Place von Brüssel, während Richard vor den Houses of Parliament in London mit erhobenem Schwert zu Pferd verewigt ist. Im gesamten 19. Jahrhundert war das Interesse an den Kreuzzügen weit verbreitet. Auch Benjamin Disraeli, der spätere britische Premierminister, war fasziniert – er unternahm 1831, bevor er ins Parlament gewählt wurde, eine Reise in den Vorderen Orient; später veröffentlichte er einen Roman, Tancred or The New Crusade ( Tankred oder der neue Kreuzzug ), der von einem jungen Edelmann handelt, dessen Vorfahren an den Kreuzzügen beteiligt waren. Auch der amerikanische [721] Schriftsteller Mark Twain reiste ins Heilige Land, er besuchte das Schlachtfeld bei Hattin und war tief beeindruckt von einem Schwert, das angeblich einst Gottfried von Bouillon gehörte: Es löste bei ihm »romantische Visionen« aus und »die Erinnerung an die heiligen Kriege«.
    1898 unternahm Kaiser Wilhelm II. eine ausgedehnte Reise in das Land seiner Kreuzzugsphantasien. Während eines Besuchs in Palästina, herausgeputzt in pseudomittelalterlichem Ornat, zog er hoch zu Ross in Jerusalem ein und begab sich dann nach Damaskus, um Saladin die Ehre zu erweisen, den der Kaiser als »einen der ritterlichsten Herrscher der Menschheitsgeschichte« bezeichnete. Am 8. November legte er auf dem ziemlich heruntergekommenen Grab des Ajjubiden-Sultans einen Kranz nieder und spendete später Geld zur Restaurierung des Mausoleums. 11
    Natürlich waren nicht sämtliche westeuropäischen Untersuchungen der Kreuzzüge jener Zeit von so phantasievollen, romantisch-nationalistischen Tendenzen geprägt. Es setzte sich daneben auch eine präzisere, stärker an
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