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Die Kreuzzüge

Die Kreuzzüge

Titel: Die Kreuzzüge
Autoren: Thomas Asbridge , Susanne Held
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heiligen Kriege außerdem eine Veränderung in den religiösen Bräuchen aus – dieser Prozess beschleunigte sich deutlich mit den zahllosen Kreuzzugspredigten im 13. Jahrhundert und mit der Ablasspraxis, der Möglichkeit, Kreuzzugsgelübde mit Geld abzulösen.
    Für die gesamte Epoche gilt, dass es mehr lateinische Christen gab, die im Abendland blieben, als solche, die sich an Kreuzzugsunternehmungen beteiligten oder im Krieg um das Heilige Land mitkämpften. [716] Doch genauso sicher ist, dass zwischen 1095 und 1291 wohl kaum ein Mensch in Europa von den Kreuzzügen gänzlich unberührt blieb – sei es durch Teilnahme, durch Steuern oder dadurch, dass sich innerhalb der Gesellschaft eine deutlicher strukturierte lateinisch-christliche Identität herausbildete. 5
    EIN LANGER SCHATTEN
    Im Februar des Jahres 1998 erklärte eine radikale terroristische Organisation, die sich selbst als »World Islamic Front« bezeichnete, ihre Absicht, einen »heiligen Krieg gegen Juden und Kreuzfahrer« zu führen. Diese Organisation, angeführt von Osama bin Laden, wurde bekannt als al-Qaida (wörtlich: »Stützpunkt« oder »Fundament«). Fünf Tage nach den Angriffen al-Qaidas auf New York und Washington am 11. September 2001 trat George W. Bush auf den Südrasen des Weißen Hauses hinaus und unterstrich vor einer Heerschar internationaler Journalisten die Bereitschaft der USA, ihren Heimatboden zu verteidigen. Er warnte: »Dieser Kreuzzug, dieser Krieg gegen den Terrorismus, wird eine ganze Weile dauern.« Später, im Oktober desselben Jahres, reagierte Osama bin Laden auf die sich abzeichnende Invasion Afghanistans durch eine Allianz unter Führung der Amerikaner. Er bezeichnete die Operation als einen »christlichen Kreuzzug« und stellte fest: »Dieser Krieg findet nicht zum ersten Mal statt. Der ursprüngliche Kreuzzug brachte Richard aus Großbritannien, Ludwig aus Frankreich und Barbarossa aus Deutschland. Heute stehen die Kreuzfahrer-Länder Gewehr bei Fuß, sobald Bush das Kreuz erhebt. Sie haben der Regel des Kreuzes zugestimmt.« 6
    Wie konnte es dazu kommen, dass die Sprache eines mittelalterlichen heiligen Krieges in moderne Konflikte Eingang gefunden hat? Die Formulierungen sollen offenbar zu verstehen geben, dass die Kreuzzüge irgendwie seit dem Mittelalter unvermindert fortbestanden, dass seither der Islam und der Westen einander unversöhnlich gegenüberstehen, festgefahren in einem erbitterten Religionskrieg, der kein Ende kennt. In Wirklichkeit aber gibt es keine ununterbrochene Linie aus Hass und Zwietracht, die den mittelalterlichen Streit um die Herrschaft über das Heilige Land mit den aktuellen Auseinandersetzungen im Nahen Osten verbinden würde. Die Kreuzzüge sind vielmehr ein mächtiges, alarmierendes [717] und in unserer Gegenwart des frühen 21. Jahrhunderts äußerst gefährliches Beispiel für den okkupierenden, manipulativen, falschen Umgang mit der Geschichte. Und die Kreuzzüge beweisen außerdem, dass auch eine konstruierte Vergangenheit noch eine eigene Realität erschaffen kann, haben sie doch – obwohl ihre Darstellung zum größten Teil auf Illusionen beruht – erheblichen Einfluss auf unsere moderne Welt.
    Zu den Gründen für dieses Phänomen gehört die Trennung zwischen dem Interesse an der mittelalterlichen Epoche der Kreuzzüge, und ihrer Wahrnehmung , wie sie in den beiden Sphären üblich ist, die ganz allgemein als muslimische Welt und Abendland bezeichnet werden können. Ganz deutlich kommt dieser Unterschied in der Terminologie zum Ausdruck. Seit ungefähr der Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die Kreuzzüge im Arabischen als al-hurub al-Salabiyya (die »Kreuz«-Kriege) bezeichnet, ein Ausdruck, der das Element des christlichen Glaubens mit dem des militärischen Konflikts verbindet. Im Englischen dagegen * hat sich der Begriff »Kreuzzug« weitgehend von seinen mittelalterlichen und religiösen Ursprüngen gelöst; heutzutage wird als »Kreuzzug« vor allem das Engagement für eine – vorzugsweise als gerecht angesehene – Sache bezeichnet. Der Begriff »Kreuzzug« wird in den Medien und der westlichen Pop-Kultur mit beiläufiger Ungezwungenheit verwendet. Es ist durchaus nicht ausgeschlossen, von einem Kreuzzug gegen religiösen Fanatismus, ja sogar einem Kreuzzug gegen Gewalt zu sprechen. Ähnlich dissonant ist die westliche Interpretation des arabischen Begriffs Dschihad. Viele Muslime interpretieren den Dschihad zunächst und vor allem als einen inneren, geistigen
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