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Die Kreuzzüge

Die Kreuzzüge

Titel: Die Kreuzzüge
Autoren: Thomas Asbridge , Susanne Held
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mittelalterlichen Schriftzeugnissen wie Chroniken, Briefen, Rechtsdokumenten, Gedichten und Liedern, verfasst in Latein, Altfranzösisch, Hebräisch, Armenisch, Syrisch und Griechisch. Darüber hinaus hat das Studium materieller Zeugnisse – von imposanten Burgen bis hin zu filigraner Buchmalerei und winzigen Münzen – neues Licht auf die Epoche der Kreuzzüge geworfen. Durchgängig wurden die eigenen Forschungen um die Ergebnisse moderner Forschung ergänzt, die auf diesem Gebiet in den letzten 50 Jahren geleistet wurde. 1
    Die Geschichte der Kreuzzüge zwischen 1095 und 1291 in einem einzigen Band darzustellen ist eine immense Herausforderung. Doch bietet das Vorhaben auch enorme Chancen: die große Linie der Ereignisse nachzuzeichnen, die elementare Dimension der menschlichen Erfahrungen aufzudecken – in Verzweiflung und Jubel, Entsetzen und Triumph – und die wechselhaften Geschicke und sich wandelnden Sichtweisen in Islam und Christentum nachzuverfolgen. All das eröffnet uns die Möglichkeit, eine Reihe von Fragen zu dieser von heiligen Kriegen gekennzeichneten Epoche neu zu stellen.
    Es gilt, nach den Ursprüngen und Gründen des Krieges um das Heilige Land zu fragen: Wie konnte es geschehen, dass zwei Weltreligionen Gewalt im Namen Gottes billigten? Wie konnten sie ihre Anhänger davon überzeugen, dass der Kampf für den Glauben ihnen die Tore zum Himmel oder zum Paradies öffnen würde? Und warum folgten Tausende und Abertausende Christen und Muslime dem Aufruf zum Kreuzzug bzw. zum Dschihad, in dem vollen Bewusstsein, dass ihnen große Entbehrungen und [16] womöglich der Tod bevorstanden? Es gilt auch zu fragen, ob der erste Kreuzzug, ausgerufen am Ende des 11. Jahrhunderts, ein Akt christlicher Aggression war und warum der Teufelskreis religiös motivierter Gewalt im Vorderen Orient zwei Jahrhunderte lang nicht durchbrochen wurde.
    Auch die Folgen und Nachwirkungen dieser heiligen Kriege sind umstritten: War die Zeit der Kreuzzüge eine Epoche uneingeschränkter Zwietracht – das Produkt eines unvermeidlichen »Zusammenstoßes der Kulturen« –, oder deutete sich in dieser Zeit die Möglichkeit von Koexistenz und konstruktivem, kulturübergreifendem Nebeneinander von Christentum und Islam an? Zu fragen ist, wer am Ende den Krieg um das Heilige Land gewann und warum; wichtiger aber ist die Frage, wie sich dieses Zeitalter der Konfrontation auf die Geschichte auswirkte und warum diese lang zurückliegenden Kämpfe ihre Schatten noch auf die heutige Welt werfen.
    EUROPA IM MITTELALTER
    Im Jahr 1000 wurde die Grafschaft Anjou im Westen Frankreichs von Fulk Nerra (987 – 1040), einem brutalen, raubgierigen Kriegsherrn regiert. Fulk verbrachte den Großteil seiner 53-jährigen Herrschaft mit Machtkämpfen: Kämpfe an allen Fronten, um die Kontrolle über seine ungebärdige Grafschaft nicht zu verlieren; Intrigen zur Aufrechterhaltung seiner Unabhängigkeit vom schwachen König von Frankreich; und Überfälle auf seine Nachbarn, deren Ländereien er plünderte und in seine Grafschaft eingliederte. Er war ein Mann der Gewalt, nicht nur auf dem Schlachtfeld, sondern auch im privaten Bereich – sogar fähig, seine Frau wegen Ehebruch auf dem Scheiterhaufen verbrennen und einen königlichen Höfling skrupellos ermorden zu lassen.
    Obwohl so viel Blut an seinen Händen klebte, war Fulk auch ein bekennender Christ, der erkannte, dass sein gewalterfülltes Leben im Blick auf die Grundsätze seines Glaubens zutiefst sündig war und ihm ewige Verdammnis einbringen konnte. Der Graf selbst gestand in einem Brief, dass er »in mehreren Schlachten furchtbares Blutvergießen angerichtet« habe und dass ihn deshalb »die Angst vor der Hölle« quäle. In der Hoffnung, seine Seele reinzuwaschen, unternahm er drei Pilgerreisen ins [17] 3000 Kilometer entfernte Jerusalem. Bei seiner letzten Reise, so heißt es, sei er, inzwischen ein alter Mann, mit einem Strick um den Hals nackt zum Heiligen Grab – dem Ort von Tod und Auferstehung Jesu – geführt worden, und ein Knecht habe ihn mit einer Peitsche geschlagen, während er selbst Christus um Vergebung bat. 2
    Was trieb Fulk Nerra zu derart drastischen Bußhandlungen, und warum war sein ganzes Leben von so wildem Aufruhr geprägt? Selbst die Menschen im 11. Jahrhundert waren schockiert von dem ungezügelten Sadismus und den befremdlichen Demutsakten des Grafen, seine Laufbahn war also offenbar ein eher ungewöhnliches Beispiel für ein Leben im Mittelalter. Doch seine
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