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Die Kreuzzüge

Die Kreuzzüge

Titel: Die Kreuzzüge
Autoren: Thomas Asbridge , Susanne Held
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Kampf. Im Westen dagegen wird das Wort gemeinhin mit einer einzigen Bedeutung versehen: dem Austragen eines äußeren heiligen Krieges gegen konkrete Gegner. Wie so viele unserer Einstellungen zur Epoche der Kreuzzüge entstand auch dieses terminologische Problem erst in den vergangenen zwei Jahrhunderten. In gewissem Ausmaß allerdings tat sich die Kluft zwischen den Erinnerungen und Wahrnehmungen der Europäer auf der einen und der Muslime auf der anderen Seite bereits früher auf, in größerer zeitlicher Nähe zur Vernichtung Outremers.
    [718] Die Wahrnehmung der Kreuzzüge im ausgehenden Mittelalter
und in der frühen Neuzeit
    Zwischen dem 14. und dem 16. Jahrhundert, als Europa noch in Kämpfe gegen andere muslimische Feinde (allen voran das Osmanische Reich) verstrickt war, erlangten die mittelalterlichen Kreuzzüge eine fast mythische Aura. Bestimmte »Helden«, von denen man annahm, dass sie im Zentrum des Geschehens gestanden hatten, wurden idealisiert. Gottfried von Bouillon gehörte neben Alexander dem Großen und Julius Caesar in die Reihe der »Neun Guten Helden« – der verehrungswürdigsten Gestalten der Menschheitsgeschichte. Richard Löwenherz wurde als legendärer Krieger-König gefeiert, während Saladins Ruhm auf seinem ritterlichen Verhalten und seiner vornehmen Wesensart beruhte. In Dantes Jenseitsvision, die er in der Göttlichen Komödie (1321) festhielt, erscheint Saladin im ersten Kreis der Hölle, der Sphäre, die für die tugendhaften Heiden reserviert ist.
    Mit der Reformation jedoch und später in der Epoche der Aufklärung unterzogen europäische Theologen und Historiker die christliche Geschichte einer weitreichenden Umwertung. Im 18. Jahrhundert wurden die Kreuzzüge als Bestandteil einer dunklen, entschieden nicht erstrebenswerten mittelalterlichen Vergangenheit interpretiert. Der englische Historiker Edward Gibbon etwa vertrat die These, dass diese heiligen Kriege Ausdruck eines »wilden Fanatismus« seien, der aus der Religion entstehe. Der französische Intellektuelle Voltaire hingegen verurteilte zwar die Kreuzzugsbewegung als solche, versagte jedoch einzelnen Persönlichkeiten eine gewisse Bewunderung nicht – so pries er König Ludwig IX. für seine Frömmigkeit und beschrieb Saladin als »guten Menschen, einen Helden und Philosophen«. 7
    Im Unterschied dazu zeigten die Muslime des Vorderen Orients während der gesamten spätmittelalterlichen Periode sowie der beginnenden Neuzeit, der Zeit der Mamluken- und Osmanen-Herrscher, kaum Interesse an den Kreuzzügen. Die meisten Muslime scheinen den Krieg um das Heilige Land als größtenteils irrelevanten Konflikt abgetan zu haben, ausgetragen in einer lang vergangenen Zeit. Mochten die barbarischen Franken auch in die Levante eingedrungen und Gewalttaten begangen haben, so waren sie doch am Ende empfindlich dafür bestraft und endgültig besiegt worden. Es verstand sich von selbst, dass der Islam gesiegt [719] hatte und die Ära der fränkischen Einmischung zu einem klaren und triumphalen Abschluss gebracht worden war. Die »heroischen« Gestalten aus dieser Zeit, die als Vorbilder zitiert wurden, waren tendenziell andere als im Westen. Saladin hatte einen viel geringeren Stellenwert. Stattdessen wurde die Frömmigkeit Nur ad-Dins gepriesen, und vor allem Baibars spielte in volkstümlichen Überlieferungen vom 15. Jahrhundert an eine prominente Rolle. Während all dieser Jahrhunderte gab es offenbar nie das Gefühl, dass durch das aggressive Verhalten der Kreuzfahrer ein immerwährender heiliger Krieg angestoßen worden sei oder dass die von den Franken begangenen Greueltaten noch einer wie auch immer gearteten Wiedergutmachtung bedürften. 8
    Wie es dazu kommen konnte, dass die Kreuzzüge aus diesen verstaubten Ecken der Geschichte herauskamen, um in der Rhetorik der Moderne eine offenbar wieder durchaus wichtige Rolle zu spielen, kann nur geklärt werden, wenn wir die Forschungen in diesem Bereich sowie die soziale, politische und kulturelle Erinnerung an diese Kriege seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts genauer in den Blick nehmen.
    Die Kreuzzüge in der Geschichtsschreibung und im Gedächtnis des Abendlands
    Zu Beginn des 19. Jahrhunderts bestand auf der Grundlage aufklärerischen Denkens weitgehende Einigkeit bezüglich der mittelalterlichen Kreuzfahrer: Sie wurden kritisiert für ihre barbarische, fehlgeleitete Brutalität, nur vereinzelt wegen ihrer Tapferkeit gerühmt. Diese Einstellung änderte sich jedoch, als dann die
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